Brunlein 1928 |
Meine Mutter, 3 Brunhild ("Brunlein"
nannte sich Barbara und wollte nicht Brumhilde heißen),
geb. Vollmer, kam aus Königsberg, also aus Ostpreußen.
Das war ihr auch wichtig, und wir hatten in Bonn lange einen
Königsberger Stadtplan im Wohnzimmer an der Wand hängen.
Auch hatte sie Kontakt zu alten Klassenkame- radinnen und einer
alten Lehrerin.
Gerne ging sie in einem der zahlreichen ostpreußischen
Seen baden, und es war wohl für damalige Verhältnisse
etwas kitzlig, wo und wie man sich umziehen konnte. Zum Glück
gab es am Ufer Schilf genug.
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... und 1938 |
Ihre
Kindheit verbrachte sie teilweise in Ponarth in der Nachbarschaft von
Munitionsfabriken. Gerne ging sie in einem der zahlreichen
ostpreußischen Seen baden, und es war wohl für damalige Verhältnisse
etwas kitzlig, wo und wie man sich umziehen konnte. Zum Glück gab es am
Ufer Schilf genug.
Wohl nach dem Abitur verstaute sie mit
anderen "Arbeitsmaiden" Heu in einer Scheune, das von einem modernen
Gebläse sehr gut hochgeblasen wurde. Vom Arbeitsdienst hat sie viel
erzählt; leider weiß ich vieles nicht mehr. Ihre Kindheit verbrachte
sie teilweise in Ponarth in der Nachbarschaft von Muniti- onsfabriken.
Gerne ging sie in einem der zahlreichen ostpreußischen Seen baden, und
es war wohl für damalige Verhältnisse etwas kitzlig, wo und wie man
sich umziehen konnte. Zum Glück gab es am Ufer Schilf genug.
Was ich schon noch zu wissen meine, ist,
daß sie einige Zeit lang deutschen Verwundeten, die in
Lazaretzügen in die Heimat gebracht wurden, bei Zwischenstops
zu essen brachte.
Als das Donnern der russischen Kanonen zu laut wurde, wurden
die Arbeitsmaiden, ziemlich im letzten Augenblick, aus dem Memelland nach Westen evakuiert. Nicht
jedermann war der Meinung daß soetwas notwendig sei. So
hörte sie etwa: "Im letzten Kriege habe ich meinen
Frau mit der Kuh über den Russtrom (ein Memelarm) geschickt,
vollkommen unnötigerweise. Diesmal werde ich klüger
sein."
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Ihre Kindheit hatte sie teilweise in Ponarth
in der Nachbarschaft von Munitionsfabriken verbracht. Auch nach
Tilsit zog die Familie, weil ihr Vater 6 Eugen Vollmer dort beim
Zoll arbeitete. Dort auf der Memel wurde viel Holz geflöst.
Auch Eugen Vollmers Schwager Fritz Zeeb arbeitete in Tilsit beim
Zoll.
Er war der Vater meiner (lange) Lieblingstante
Pitha (Roswitha Weindel). Zur Zeit ihrer Geburt wohnte sie wie
meine Mutter in der Barbarastraße in Ponarth; es mag sein,
das meine Mutter hier auf die Idee gekom- men ist, sich Barbara
zu nennen. Wir besuchten die Familie Weindel oft in Frankfurt |
(Römerstadt), denn das war nicht allzuweit
von meinen Großeltern, wo ich oft zu Besuch war. Weihnachten 1944 - die Russen waren
schon in Ostpreußen eingebrochen und hatten Massenvergewaltigungen verbrochen - kam sie in letzter Minute noch einmal
nach Königsberg (< Zentrum) zurück, das sie
nur noch unter Schwierigkeiten verlassen konnte; der Zug kam
kaum noch weiter und mußte ein Stück der Strecke sogar
vor- und zurückfahren.
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li: meine Mutter 1941 mit ihrer Cousine
Roswitha Zeeb, wohl in Königsberg/Pr.
re: 1958 zur Taufe von "Pi- thas"
ältestem Sohn Martin, v. re. Fritz & Lies Zeeb, Klaus
& Roswitha Weindel, meine Eltern, li. & sitzend die Eltern
Weindel.
Meine Mutter kannte ihre Cousine Pitha
gut, sie waren befreundet, ja, fast eine Art Ersatzschwestern. |
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Beide waren Einzelkinder, sie wurde meine
Patentante und wir haben noch heute, wo sie schon eine ganze
Weile Großmutter ist, guten Kontakt miteinander. Ihre Kinder
sind Martin, Constanze (verh. Spitz) und Tilmann. Beide Söhne
sind Ärzte, Constanze ist Lehrerin und Tilmann spielt Bassgitarre.
Der Name Pitha stammt von ihr selbst; Pitha nannten sie sich,
als sie noch zu klein war, um Roswitha aussprechen zu können.
Zur Zeit von "Pithas" Geburt
wohnten die Familien Vollmer, meine Großeltern, und die
Familie Zeeb, mein Onkel Fritz und meine Tante Lies, in der Barbarastraße
in Königsberg-Ponart, einem Industrievorort, der von Munitionsfabriken
und einer Brauerei geprägt war.
Oft wohnten meine Mutter und ihre "Fastschwester"
Pitha nahe beieinander; schließlich waren ihrer beider
Väter Zöllner. Dies war sowohl in Königsberg als
auch in Lötzen an der Memel der Fall, und nach dem Krieg
einfach deshalb, weil ihre Mütter, die schließlich
Schwestern waren, beide nach Walsrode geflüchtet waren.
Tante Pithas Eltern, mein Onkel Fritz und
meine Tante Lies (Zeeb) zogen kurz nach Tante Pithas Geburt nach
Raudzen bei, und ungefähr ein Jahr danach, direkt nachTilsit
in in den selben Block, in dem auch meine Mutter wohnte. Diese
besuchte hier die Grundschule und einige Jahre das Gymnasium,
die Luisenschule. Zeebs zogen nach groß Blumenau und Onkel
Fritz nacxh Berlin, wo er die V2 zu entwickeln half.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, wo
ein Tischler - ich weiß nicht einmal, ob von meinem Großvater
oder seinem Schwager, meinem Onkel Fritz - davor gewarnt wurde,
geschmuggelten Schnaps zu trinken. Daraufhin sagte er in schönstem
Ostpreußisch etwa, zur Not könne er auch Beize trinken
(wahrscheinlich war es keine Beize, sondern etwas wenigstens
zur Not halbwegs Trinkbares). Meine Mutter konnte den ostpreußischen
Tonfall sehr gut vorführen, wenn sie z. B. die Worte des
Tischlers erzählte. Es war ein frecher Spruch...
Meine Mutter las schon während der
Schulzeit viel und ging gerne ins Theater. Bisweilen ging ein
junger Mann; ein Nachbar, Bekannter oder so mit und begleitete
sie nach Hause. Sie u nterhielten sich so gut, daß sie
ihn danach ebenfalls nach Hause brachte. Einmal wollte sie beim
Rückweg vom Theater die Schuhe schonen, und zog sie aus.
Leider war es Winter.
Aber auch über Rotz konnte meine Mutter
eine sehr interessante Geschichte erzählen; und auch sie
spielt im Winter. Der war in Ostpreußen lang und hart,
was nicht nur die Voraussetzungen fürs Schlittschuhlaufen
verbesserte.
Es war also Winter in Königsberg,
und meine Mutter war auf dem Nachhauseweg von der Schule, als
sie hörte und sah, wie ein Mann sich die Nase schneutzte.
Zeit, um darauf zu achten, hatte sie genug; sie wollte eine Bahnlinie
überqueren und mußte warten, weil die Schranke unten
war; und siehe da: Der Rotz landete auf der Schranke und gefror.
Die Winter waren lang in Königsberg,
meine Mutter konnte monatelang prüfen und sich vergewissern,
daß der Rotz noch auf der Schranke klebte. Wochen und Monate
fuhr sie mit ihrer Hand über die Schranke, um den Hubbel
spüren zu können, von dem sie wußte: Das ist
der Rotz. Diese Gelegenheit nutzte sie gerne, jeden Tag.
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Nach ihrem Abitur an der Hufenschule
im Februar '44 war sie ab dem 15. 3 1944 beim RAD (Reichsarbeitsdienst)
in Mädewals (genannt. Maidenwald) im Memelland. Nach dem
Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte mußten die Maiden
Ende August fliehen. Ein Lehrer dort meinte: Ich schicke nur,
wie im ersten Weltkrieg, meine Frau über den Russtrom. Um
nicht zum Kriegshilfdienst zu müssen, ging sie noch auf
die Führerinnen- schule in Schloß Düsterthal
(ehemal. Schloß der Hardenberg).
Von ihrer Flucht konnte sie auch so einiges erzählen, was
passieren kann, wenn Frauen sich in schon - wenigstens vermeintlich
- verlassenen Bauernhöfen waschen, und wie sie ein Stück
aufauf einem Wehrmachtslastwagen mitge- nommen wurde, ein entgegenkommender,
ich glaube, sie sagte englischer Panzer drehte ab, als seine
Besatzung die Frauen auf dem Lastwagen entdeckte. |
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Hier füge ich mein Protokoll Mutti
Flucht und Nachkrieg ein; das zugrunde liegende Gespräch
führte ich kurz vor ihrem Tode mit ihr:
- Feb. 44 Abitur
- Ab 15. März RAD (Reichsarbeitsdient) in Mädewald
bei Heydekrug (Memelland), genannt "Maidenwald". Die
Bauern ließen nichts auf die Arbeitsmaiden kommen (Sie
trinken nicht, sie rauchen nicht, sie lieben nicht, sie schreiben
nur Feldpostbriefe). Außeneinsätze auf wechselnden
Höfen.
- Aug. ´44; Nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe MitteVorwarnung,
Kanonendonner von Weitem, 12 Std. Ernteeinsätze am Tag,
z. Teil modernes Gerät (Gebläse). Eines Morgens Ende
August Aufbruch, Gepäck in Wolldecken genäht, per Lastwagenj
nach BHF Tilsit. Der Lehrer: Ich schicke wie im 1. Weltkrieg
nur die Frau mit der Kuh über den Russtrom.
- Ins Lager Zande?-Belzig im südl. Brandenburg, fast Sachsen,
ca. 3 Wochen bis Ende RAD-Pflichtzeit.
- Um nicht zum Kriegshilfsdienst (Flak oder Munitionsfabrik)
zu müssen, auf die Führerinnenschule: 1 Monat Schloß
Düsterthal ??? (ehem. Schloß der Hardenberg), Anf.
Okt. - Anf. Dez. ´44, guter Kurs in Hauswirtschaft.
- Nochmal trotz drohender Vorzeichen 3 Wochen in ein Lager bei
Königsberg (Weihnachten zuhause), zuletzt in Domnau.
- Ca. 20. Jan. vom Bahnhof, wo Mutti wegen eines Besuches bei
einer befreundeten Lagerführerin war, ausgerufen und zurück:
Abmarschbefehl. 10 Tage im Zug hin und her, 30. Jan. Ankunft
in Uckermünde.
- In der Lüneburger Heide Feb. ´45 in andere Lager
reingestopft, erst bei Uelzen bis März, bei Salzwedel 2
- 3 Wochen. Andere Mädchen "laufen zu den Ostpreußen
über", Soldaten drängen auf Lagerauflösung,
also Lebensmittel verteilt.
- Auf Wehrmachtslastwagen Anf. nach Melldorf in Süder -
Dithmarschen zur Familie einer befreundeten Führerin.
- 2 - 3 Monate ins Hospital Schafstett, erst putzen, dann KZ
- Jüdinnen aus der von den Alliierten versenkten Arcona
pflegen. Oma kommt. als Bienenkorb-Begleiterin getarnt, über
den Kanal.
- Walsrode 2 J Aug / Sept ´45 - ´47. Oma seit Frühj.
´45 Tante Lies auch da, Opa seit Frühj. ´46
da.
- Nordhorn / Ffm Arbeit bei KreisVw. Grafsch. Bentheim, Disk.
mit Engländern, Gem. Chor, trinken /spucken.
- (Groß)Eltern ? Wiesbaden ´51 / ´52, Arbeit
beim Zoll
Beeindruckt war sie, als sie hörte, daß der Krieg
vorüber sei. Ich glaube, da saß sie auf einer Wiese
und sie hörte es aus dem Radio. "Unglaublich",
so ähnlich dachte sie, "Nun ist der Krieg vorbei. Jetzt
wird nicht mehr geschossen, und niemand stirbt mehr." Dies
erschien ihr unvorstellbar.
Von den Engländern gefangengenommen und
in das Lager Heide (Holstein) gebracht worden war sie vielleicht
wegen ihrer Uniform - schließlich war sie auf der Führerinnenschule
gewesen. Hier pflegte sie TBC-Kranke und Jüdinnen, deren
Schiff von den Briten in der Ostsee versenkt worden war. Schließlich
wollte sie ja Ärztin werden, und hatte bis da nur verwundete
Soldaten versorgt, deren Züge gerade in Königsberg
gehalten hatten. Sie pflegte auch die Frau eines Königsberger
Arztes.
Das Lager Heide war sehr groß; es umfaßte etliche
Dörfer, sodaß die Zivilisten, die dort wohnten, mitgefangen
waren. Der Stacheldraht ging um sie alle herum. |
Die Cap Arcona |
Möglicherweise wurde sie deshalb fest
gehalten, weil sie, wie ihr Vater sie noch Jahre später
denunzieren musste, im Arbeitsdienst Kameradschaftsälteste
gewesen war.
Doch schließlich wurde sie von ihrer
Mutter gefunden und nach Walsrode mitgenommen, was schon wegen
des Nord-Ostsee Kanales, der eigentlich von Deutschen nicht überquert
werden durfte, (das Land nördlich des Kanales war nicht
besetzt) nicht einfach war. Tante Lies half Omi suchen. Wochenlang
brauchten die beiden Frauen dafür; dazu trampten sie bei
Alliierten mit und mußten teilweise viele Kilometer weit
gehen dazu. Über den Kanal schafften sie es als angebliche
Bienenkorb-Begleiterinen.
Nach Walsrode, wo ihre Mutter und Tante
Lies seit dem Frühjahr '45 lebten. Zuerst waren deren Schwester
(meine Tante) Lies mit ihrer Tochter Roswitha (Tante Pitha) dort
gelandet. Im Februar waren sie nach harter Flucht in Berlin angekommen,
aber Onkel Fritz schickte sie wegen der dauernden Luftangriffe
auf Zivilisten weiter Richtung Westen; rein zufällig nahm
sie der Flüchtlingszug nach Walsrode mit. Meiner Großmutter,
deren Flucht sie nach Leipzig verschlagen hatte, liessen sie
(wohl März oder April 1945) nachkommen).
Und im Frühjahr '46 kam denn ihr Vater
aus US-Gefangenschaft; so gut genährt, wie er vor- oder
nachher nie wieder war. Daß er überhaupt zurückkommen
würde, war da schon klar; schließlich hatte es seine
Familie aus Postkarten erfahren, oder sie hatte sogar einen Brief
von der Wehrmacht erhalten.
Er bekam sehr früh wieder eine Arbeit
als Zöllner, in Nordhorn, da er nie in der Partei gewesen
und als ¼- Jude diskriminiert worden war. Meine Mutter
arbeitete in Nordhorn für die Kreisverwaltung und hatte
damit auch oft mit der Besatzungsmacht England zu tun. Sie bekam,
so glaube ich, dabei Lust, Jura zu studieren, was sie später
in Frankfurt tat. Den Engländern gab sie bei Diskussionen
im Rahmen der "reeducation" Widerworte. Die Einheimischen
konnten sich mit dem Besatzern einfacher und erfolgreicher verständigen:
Sie sprachen Platt mit ihnen. Meine Mutter soff bisweilen bis
zum Spucken. Ich glaube, in Nordhorn kauften ihre Eltern die
ersten Möbel, z. B. einen Wohnzimmerschrank, ein Meisterstück,
das ich heute noch besitze und als Bücherschrank nutze.
meine Eltern (re.) mit Motorroller
ca. ´52 |
Sie liebte Frankreich und fuhr auch
hierhin. Im Zusammenhang mit einer Frankreichreise, bei der sie
meine Tante Nora kennenlernte, und durch derenVermittlung - Nora,
die erste Frau meines Onkels Wolfgang Gruner, lud sie, und "ganz
zufällig" auch den Bruder von Wolfgang, zum Essen ein
- lernte sie dann 2 meinen Vater kennen; der wohl bis dahin meist
hinter seinen Büchern gehockt hatte. Meine Eltern wurden
schlichtweg "verkuppelt".
So nötig wie angeblich mein Vater
hätte sie das wohl nicht gehabt. Wie ich hörte, war
sie geflegt, sehr gut gekleidet und hatte genug Verehrer. Überigens
gab sie dann ihre juristische Ausbildung nach dem ersten Staatsexamen
auf und arbeitete, damit wenigstens einer verdiente und mein
Vater sein Studium schnell und problemlos abschließen konnte.
Studiert hatte sie in Frankfurt, wie auch
ihre Cousine, meine Tante Pitha. Diese studierte von 1951-1954
in Frankfurt an der Modeschule Modegrafik und machte ihr Diplom,
und dann zeichnete sie, weil sie keine Arbeit fand, Trickfilme.
Ihren späteren Mann, meinen Onkel Klaus, lernte sie als
Statistin an den Städtischen Bühnen Frankfurt kennen. |
Neben ihrem Studium arbeiten mußte
aber auch meine Mutter, während des Semesters z. B. über
den Studentenschnelldienst in der Frankfurter Messe, und während
der Semesterferien bei der Kreisverwaltung Nordhorn. Später
tippte sie für einen Verlag (Merian?) und arbeitete wohl
auch für das Frankfurter Senkenbergmuseum, dessen Hefte
"Natur und Museum" sie bis an ihr Lebensende bezog.
In Bonn war meine Mutter als Presbyterin
aktiv und sollte wohl für eine bundesweite Kirchenfunktion
aufgebaut werden, was sie dann aus gesundheitlichen, mir nicht
so ganz erfindlichen Gründen doch nicht machte. Jedenfalls
fuhr sie oft zu Kirchentagen in Ostberlin. Außerdem war
sie ein paar Jahre Schöffin.
Nach dem Tode meines Vaters fuhr sie noch nach Südfrankreich
in Urlaub, dann wurde sie krank; sie bekam einen Hirntumor.
Ich fuhr sie zu meiner Schwester Susanne nach Gravenbruch (bei
Frankfurt), die sie - Ärztin, die sie ist - besser pflegen
konnte, als ich das gekonnt hätte. Bald war sie nur noch
im Rollstuhl mobil. Sie starb, als gerade niemand im Hause war.
Meine Tante Pitha meinte jetzt, im Herbst 1996, sie vermisse
sie oft, so, wie sie eine Schwester vermissen würde. Auch
hätten meine Eltern wirklich immer eine vorzügliche
Ehe geführt.
Meine Mutter ca. 1972 im Wohnzimmer.
Die ganze Wohnung war voller Bücher. |
|
Meine Urgroßeltern Vollmer, und mein
Großvater ~ 1893 & ~1897, hier schon in Uniform
|
Wenige Monate nach dem Tode meiner
Mutter wurde dann Nicolai geboren, aber das erlebte sie nicht
mehr; genausowenig wie ihre Eltern. Mein Großvater 6 Eugen
Vollmer war nun schon lange tot und hatte selbst Claudia nie
kennengelernt.
Über seine Familie wußte weiß
ich wenig, nur das, daß er aus Berlin kam, die Familie
Vollmer gut angesehen war, Verwandte eine Tischlerei oder Schreinerei
hatten und daß er als Kind im Berliner Militärwaisenhaus
lebte. Mehr erfuhr ich 2007 aus einem in seinen Entnazifizierungsakten
enthaltenen Lebenslauf: Nach dem Tode seines Vaters 1908, eines
Gastwirtes, kam er November 1909 ins große Militärweisenhaus
Potsdam.
Hier gab es einmal im Jahr eine Art Parade
oder Vorführung der Waisen für Mitglieder der Kaiserfamilie,
die das Waisenhaus besuchten und den Waisen etwas Leckeres zum
Essen mitbrachten. Wir waren einmal in Ferien an der Ostsee,
als eine Kaisertochter ihre Bücher in einem Buchladen vorstellte.
Meine Mutter sprach sie auf die Besuche im Militärwaisenhaus
an und die Kaisertochter lachte und meinte, daran könne
sie sich gut erinnern. Die beiden unterhielten sich ein paar
Minuten, und noch heute habe ich das signierte Buch.
< Szene im Militärwaisenhaus (Ausschnitt),
Opa dabei? |
Im Waisenhaus hatte mein Großvater
viel zu leiden. Er wurde geschlagen und bekam zuwenig zu essen.
Seine Mutter wollte ihn eigentlich aus der Anstalt heraus zu
sich nehmen, doch die Familie verhinderte dies.
Mit seiner Konfirmation 1915 wechselte
er in die dem Waisenhaus angegliederte Militärschule, wo
der außer der Mittleren Reife eine Militärische Ausbildung
erhielt. Danach wurde er im März 1918 als Kapitulant (freiwillig
längerer Dienst, in seinem Falle über 12 Jahre, zu
denen er als Zögling des Militärwaisenhauses verplichtet
war) dem Infanterieregiment 30 überwiesen.
Ich glaube, daß eine Geschichte erzählt
wurde, die Familie sei ursprünglich aus Österreich
gekommen, aber vor langer Zeit wegen ihrer Konfession von dort
vertrieben worden. Auch von einer Tante aus seiner Verwandtschaft,
ich glaube, sie hieß Bettie, habe ich gehört. Vor
allem von ihren großen Brüsten, die sie über
die Stuhllehne hängte, wenn sie den Stuhl an den Tisch heran
schieben wollte.
Er wurde zum Feuerwerker ausgebildet (wohl
nur bis zu einem ersten Examen, sodaß er später nicht
so, wie sein Schwager Fritz, als Ingenieur arbeiten konnte),
war später, wie dieser, im 100.000-Mann-Heer { aus dem Reichsheer
schied er als Oberfeuerwerker (Z) aus}. Danach arbeite er als
Zöllner, deswegen arbeitete er viel später auch in
der OFD Frankfurt, traf sich aber auch noch mit Feuerwerkern
in einem Verein, dessen Gründung er angeregt hatte. In Königsberg,
in Ponarth arbeitete er auch als Feuerwerker. Tilsit, wo die
Familie(n) ein paar Jahre lang lebte(n), lag ja immerhin an der
Grenze. Hier arbeitete er als Zöllner.
Inzwischen habe ich von meiner Tante Pitha
erfahren, daß Eugen Vollmer selbst dann, wenn er gewollt
hätte, nicht in die NSDAP hätte eintreten können:
Er war 1/4-Jude, über seinen Großvater Lindemann.
6 war also Beamter, und deshalb wurde zur
Bekämpfung der Inflation sein Gehalt vermindert (ich habe
daran ja schon oft gedacht, und gerade jetzt kommt mir dazu der
Ausdruck "Brüningsche Notverordnung" in den Sinn).
Damals war Eugen Vollmer noch beim Heer. Ein paar Jahre später,
als er dann bei Zoll war und hier ein normales Gehalt bezog,
waren die Nazis an der Macht, jede Beförderung war ihm verwehrt,
weil er nicht Parteimitglied war. Er wollte oder konnte sogar
auch nicht hinein, die Familie Vollmer mußte lange mit
einem ziemlich bescheidenen Einkommen auskommen.
Erst 2007 konnte ich seinen Entnazifizierungsdokumenten
dazu entnehmen: "Ich bin Mischling. Ich wurde, weil ich
Kriegsteilnehmer 14/18 war, ausnahmsweise mit Zu- stimmung des
damaligen "Stellvertreters des Führers" zum Zollinspektor
ernannt. - .-.-. - Von Beförderungen war ich ausgeschlossen".
Wo mein Großvater jedoch hineinmußte,
das war im zweiten Weltkrieg die Wehr- macht. Der allerjüngste
war er da ja schon nicht mehr, und ich habe nie von Kämpfen
gehört, an denen er teilgenommen hätte.
Bis Mai 1943 war er noch in Ospreußen
mit Munitionsverwaltung und Bürodiensten beschäftigt;
dann wurde er zum Heereswaffenamt Paris versetzt.
Opa Frankeich ca. 1943, in der Mitte > - |
|
Im August 1944, nach der Invasion der Aliierten jedoch wurde
er schon nach Kämpfen von den Amerikanern gefangengenommen.
Er kam so rund und dick nach Walsrode, wie er nie vor- oder nachher
aussah. Unvorstellbar für die Familie, die schwer hungern
mußte.
Leider kann ich keine weiteren Angaben
machen. Na klar, ich weiß, er arbeite in Wiesbaden, und
lange in der Oberfinanzdirektion in Frankfurt. Ich habe versucht,
seine wichtigsten Personalakten wenigstens als Kopie zu erhalten.
Aber leider waren diese Akten schon vernichtet; wäre ich
nie drauf gekommen.
Meine Großmutter Martha Vollmer, * Pudellek war in
Lötzen
in Masuren geboren worden. Wenn Anbeter
kamen, konnte es vorkommen, daß sie oder ihre Schwestern
die Jünglinge mit der Behauptung weckschickten, die Angebetete
sei leider grade nicht zuhause. Einmal ging sie im ostpreußischen
Winter barfuß vom Tanz nach Hause, um ihre Schuhe zu schonen.
Auch aus Versehen Geld verheizt hatte sie,
oder befürchtete jedenfalls, dies getan zu haben. Ähnlich
ging es ihr im zweiten Weltkrieg mit Kleiderkarten; zum Glück
waren die dann doch zu finden.
Meine Großeltern 6 u. 7 tanzten gerne,
jedenfalls als sie noch in Ostpreußen wohnten. 7 nahm ihren
Büroschlüssel, ich glaube, von der Stadtverwaltung
Königsberg, mit auf die Flucht. Sie, Martha, geb. Pudellek,
kam aus Lötzen. Sie hatte zwei Schwestern, meine (Groß-)
tanten Hella und Lies, sowie einen Bruder Otto, von dem ich nur
gehört habe. Nach ihrer Flucht und dem Leben in Nordhorn
und Walsrode lebten sie bis zum Tode meines Großvaters
in Frankfurt nahe der OFD (Oberfinanzdirektion). Die war vom
Balkon ihrer Wohnung in der Malapertstr. 22 aus gut zu sehen.
Wie oft waren Susanne und ich dort zu Besuch! Danach zog meine
Oma in die Mittelstraße in Bonn-Bad Godesberg. Hier starb
sie auch, ein T-Shirt von mir, das sie zum Trocknen aufhängen
wollte, in der Hand.
Meine Großeltern Eugen &
Martha Vollmer ca. 1972 |
|
Ich sah sie noch auf einem Sessel im Wohnzimmer
"sitzend". Ihre Möbel verkaufte ich großteils;
nur ihren Wohnzimmer- schrank benutze ich noch. Ihre Wohnung
mußte ja leer werden, und ich konnte jede Mark gut gebrauchen.
Tante Hella ging früh in den Westen und hatte meine Tante
Gisela als Tochter. Diese hatte zwei Kinder, die ich kannte,
und die beide nicht mehr leben.
Die Schwester der beiden, meine (Groß-)
Tante Lies, lebte während des zweiten Weltkrieges in Groß
Blumenau bei Königsberg. Eine Wohnung in Berlin, wo ihr
Mann, mein Onkel Fritz, die Geheimwaffe V2 mitentwickelte, war
nicht zu bekommen. Oft reiste sie zu ihrer Schwester Martha nach
Königsberg, um ihr politische Witze zu erzählen. Am
Telefon wäre das zu gefährlich gewesen. Tante Lies
Tochter ist meine Patentante Pitha.
Meine Urgroßeltern kannte ich nicht,
nur Geschichten hörte ich von ihnen. Mein Urgroßvater
14 Martin Pudellek war Postillon und spielte gerne und gut auf
seinem Horn, wenn er durch die Gegend juckelte. Eigentlich war
ihm ja eine Ehrentrompete versprochen, die er aber zu seiner
Empörung nie erhielt. Oft saß eine seiner Töchter
neben ihm. Dann aber wurde er, als er an einem Gasthof Pferde
ein/ausspannte,von einem fremden Pferd verletzt. Er erlitt einen
Lungenriß, in dem sich TBC ansiedelte. Schließlich,
nach längerem Siechtum, starb er am 9. 2. 1911 daran.
Eigentlich hätte er ja einen großen
Bauernhof erben können, aber er wurde enterbt, weil er meine
Urgroßmutter, ein uneheliches Kind, heiratete. Von seinem
Pflichtteil kaufte er sich dann Pferde und machte sich selbständig.
Von ihm erzälte seine Tochter, meine (Groß-)Tante
Hella, daß er ein lebenslustiger Mann gewesen sei, der
am Sonntag eine schwarze Kniehose, weiße Strümpfe,
schwarze, gewichste Lederschuhe, ein weißes Hemd und eine
Weste angezogen und seinen Schnurrbart gezwirbelt habe; dann
ging er mit ihr - sie war damals 13 oder 14 Jahre alt - tanzen.
Er war wohl ein manchmal leichtsinniger
Mensch, der "oft" seine Arbeit wechselte und laut Oma
mehrere Käfige mit Kanarienvögeln hatte. Er spielte
nicht nur auf verschiedenen Instrumenten, sondern pfiff und sang
auch mit seinen Vögeln.
Meine (Groß-)Tante Lies erinnerte sich: Mein Vater war
ein grosser, stattlicher Mann. Er hatte eine frische Gesichtsfarbe,
dunkles Haar und leuchtend blaue Augen. Er war kein Freund von
Traurigkeit, machte viel Spass und Witze und brachte alle zum
Lachen. (Diese Art musste Siegfried von ihm geerbt haben, auch
die blauen Augen.)
Wie ich 2002 von meiner Tante Pitha, ihrer
Tochter, hörte, hatte er wohl dichtes, welliges Haar, ähnlich
seinem Sohn Otto. Sein einziges Bild blieb bei der Flucht in
Blumenau?
Otto war im Stahlhelm und wurde, als er sich bei der Gleichschaltung
weigerte, der SA? beizutreten, eingekerkert (obwohl er wahrscheinlich
in der Partei war). Die Familie sah ihn nie wieder, nicht einmal
als Leiche, sondern erhielt 1942? nur eine Todesnachricht. Seine
amerikanischen Nachkommen lernte ich bei Besuchen bei meinen
Großeltern in Frankfurt kennen. Dies waren Sieglinde (Lindchen)
und ihre Familie. Der Vater der Familie diente in der Amerikanischen
Armee in Frankfurt. Wir besuchten sie ein paar Male. Was mich
beeindruckte: er spielte Trompete, sie hatten eine große
Wohnung und einen großen Kühlschrank. Das heißt:
Ich habe ihn nie Trompete spielen hören, aber das Ding bewundert
habe ich schon.
Die Mutter hieß Linne (in Ostpreußen
noch Lindchen), die Töchter hießen Gracie und Diana
Carol. Gut klang das, fast wie "Dein Kerl". Ich glaube,
zwei etwas ältere Söhne gehörten auch zur Familie.
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li.: Meine Großmutter "Martl"
wohl 1915 mit ihrer Mutter, Konfirmation?
Mitte: wohl 1920 vor der Abstimmung darüber,
ob Masuren beim Reich bleiben dürfe.
re.: Tante Lies, Oma, ihre Mutter Justine
Pudellek, und ihre Großmutter Christine, verh. Kischkel |
|
Ich meine eine Geschichten gekannt zu haben,
wie die Schwestern Pudellek im ersten Weltkrieg flohen. Außerdem
kenne ich Geschichten von Otto, ihrem Bruder. Er sprang einmal
mit zwei Regenschirmen als Fallschirm vom Dach eines Schuppens;
und natürlich klappten die Schirme um. Dies geschah in Lötzen,
und Pitha konnte zusehen. Natürlich klappten sie um und
er fiel runter. Dann kannte ich noch ich noch eine Ottchen-Geschichte
- sie bezieht sich auf den Sohn Ottos, wie er gegen Ende des
Krieges am Bahnhof von einem Soldaten angemacht wurde, wieso
er denn nicht kämpfe. Er antwortete, daß er die Kanonen
auch so durchaus gut genug hören könne.
Lötzen, am Löwentinsee in Masuren |
Martl und Lies, meine Großmutter
und -tante, zankten als halbwüchsige Schwestern viel. Omi
muß Tante Lies gegenüber ziemlich viel angegeben haben,
und wenn ihre Schwester sich schön nannte, ging sie zu einem
grade auf diese wartenden Jüngling vor, und behauptete:
Liese darf nicht kommen".
kommen
Meine Urgroßmutter 15 hieß
Justine, sie wurde Justchen genannt. Ihre Enkelinnen erhielten
alle auch den Vornamen Auguste "nach ihr". Sie gebar
10 Kinder, von denen nur 8 lebend zur Welt kamen und vier starben,
bevor sie zwei Jahre alt waren. Leben blieben Otto, Hella, Lies
und Martel, meine Großmutter.
Von den Kindern der Eheleute Martin und
Justine Pudellek sind die 3 ältesten in Lötzen geboren
(Anna 1886, Marie & Bertha 1889). Erst danach war die Familie
nach Angerburg weggezogen (Martin stammte aus dem Kreise Angerburg). |
Die beiden folgenden Kinder (Fritz 1891,
Otto 1893) sind in Angerburg geboren. Wieder in Lötzen kamen
danach Karoline Helene (Tante Hella) 1895, Charlotte-Luise (Tante
Lies) 1898, Ida Martha (Martl, meine Omi) 1902 (zwischen beiden
letzteren gab es noch eine Fehlgeburt von Zwillingen).
|
Meine Urgroßeltern lebten in Lötzen,
also in Masuren. Von meiner Großmutter habe ich gehört,
daß sie Masurisch sprachen, wenn die Kinder etwas nicht
verstehen sollten. Aber das meiste verstanden sie schon.
Nach Martin Pudelleks Tod hatte seine Witwe
"Justchen" 1 Kuh und 1 Schwein; ihre Pension war eben
sehr gering. Morgens nahm ein Kuhhirt die Kuh mit; den Weg nach
nach Hause am Nachmittag fanden die Kühe alleine. Zu Omis
Schulzeit hatte sie eine Wiese gepachtet, und wenn sie Omi (Martha)
vor der Schule weckte, war ihr Rock naß, weil sie schon
Graß gemacht hatte.
Als die Russen im ersten Weltkrieg in Masuren einfielen, belagerten
sie auch Lötzen; die Familie floh, bis die Schlacht bei
Tannenberg gewonnen war, und meine Urgroßmutter kochte,
als Lötzen eingeschlossen war, für die deutschen Truppen.
- - (s. links ihr Bild mit Orden)
Seitdem war sie eine Respektsperson, und
der Bürgermeister grüßte sie, wenn er sie traf.
Nach dem ersten Weltkrieg kam die ganze Verwandtschaft nach Lötzen,
um für den Verbleib Masurens bei Deutschland zu stimmen.
Ich besitze ein Photo von der Versammlung der Familie, das wohl
am Vortage aufgenommen wurde (oben). |
Die Familie Pudellek hatte eine Etagenwohnung,
gemietet bei einer Bäckerfamilie in der Neuendorfer Straße,
neben einer Fleischerei, die meine Urgroßmutter aber noch
vor dem zweiten Weltkrieg aufgab. Sie hatte nur ein dunkles Zimmer
und war dann im Winter bei einer ihrer Töchter Lies oder
Martel. Nach dem Tode meines Urgroßvaters ging es ihr wirtschatlich
nämlich äußerst schlecht; und trotzdem ermöglichte
sie ihren Kinder solide Ausbildungen. Die drei ältesten
besuchten eine höhere Handelsschule, und meine Großmutter
Martha, die hierzu keine Lust hatte, machte eine Lehre im Einzelhandel
(Damenbekleidung) und heiratete früh. Die Flucht überlebte
meine Urgroßmutter noch, ohne sie zu begreifen. Noch nach
Kriegsende bewahrte sie in Walsrode die Hausschlüssel aus
Ostpreußen auf, weil sie meinte, irgendwann werde sie dorthin
zurück können.
Nach Walsrode war sie im Februar 1945 mit
ihrer Tochter, meiner Tante Lies, und ihrer Enkelin, meiner Tante
Pitha geflohen. Im folgenden Monat kam dann auch meine Großmutter.
Sie selbst (15) starb kurz darauf in Walsrode. Nachts weckte
sie die Familie und erklärte ihr, daß sie jetzt sterben
werde. Ihr war schlecht und schwindelig. Ich glaube, sie war
schweißüberströmt. Ihr Bett verließ sie
nicht mehr. Trotz Sperrstunde - Deutschen war es verboten, die
Häuser zu verlassen - kamen meine Mutter und Großmutter
über die Straße von gegenüber, wo sie Unterkunft
gefunden hatten, in die Wohnung. Meine Mutter wusch die Leiche,
denn soetwas hatte sie, wie sie sagte, schon oft genug getan.
Ich habe einmal von Hannover aus versucht, ihr gerade ablaufendes
Grab zu besuchen, konnte es aber nicht finden. |
Justine "Justchen" Pudellek
1944 |
Christine, * Kasper |
Daß sie unehelich geboren war, diese
Geschichter wurde öfters erzählt. Ihr Vater (Rudolf
Danehl) 30 war der Sohn reicher Bauern aus Sucholasken (447 Einw.
1938) im Kreis Lötzen, Kirchspiel Widminnen, ihre Mutter
Christine (Kasper, 31), eine große, stolze Frau, war Mamsell,
so eine Art leitende Angestellte unter dem Personal des Hofes.
Immerhin schaffte diese dann, trotz ihres unehelichen Kindes
noch einen anderen Bauern (oder war es der Stellwerker Martin
Kischkel aus Widminnen?) als Mann abzubekommen. Dabei half wohl
die Familie der reichen Hofeigentümers mit. Sie blieb in
Sucholasken.
Übrigens weißt ihr Name auf
einen litauischen
Ursprung der Familie Danehl hin; er bezeichnet nichts anderes
als den biblichen Name Daniel.
Christine Kischkel konnte sehr gut singen.
Von ihrem Mann bekam sie noch zwei Töchter, Karoline ("Line"),
die später Haushälterin bei einer Schneiderin wurde.
Wenn ich meine Aufzeichnungen richtig entziffere, verliebte die
sich, als eine andere Braut ein buntes Kleid anprobierte, in
deren Bräutigam Fritz Tiedemann, wohl Schmied im Samland. |
Auch ihre Tochter Bertha war Haushälterin, in einem sehr
reichen Haushalt. Sie kochte gut und heiratete nicht. War sie
Tante Bettie, die ihre üppigen Brüste über die
Rückenlehne von Stühlen zu hängen pflegte, die
sie an den Tisch schieben wollte? Ging einfach besser so.
1914 wurde Christines Hof in Widminnen
bei Angerburg gesprengt, weil er in der Schußlinie lag.
Sie erhielt eine hohe Abfindung. Nach dem Tode ihres Mannes lebte
sie bis zu ihrem Tode 1923 in Lötzen bei ihrer Tochter Justine.
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