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Auf den Spuren eines technischen Revolutionärs:
Autobiografie des Erfinders unserer Heizkörper

Kaum jemand in der Welt kennt heute Franz Karlovitch San Galli, den Erfinder unser modernen Heizkörper. Die russische Oktoberrevolution ist über sein Werk hinweg gegangen, jedenfalls über sein Unternehmen in St. Petersburg, und so ist der rührige Einwanderer aus Pommern weitgehend dem Vergessen anheim gefallen.

Hier stelle ich zur Erstinformation seine Autobiographie ins Netz, die mir in Coburg schon 1990 ganz unverhofft in die Hände fiel. Eigentlich war ich dort auf den Spuren meiner Urgroßeltern. Ach ja, meine Urgroßmutter war Nichte von Franz San Galli.

Eine viel weitergehende Dokumentation hat 2008 Vitalij Smyschljajew in St. Peterburg als Buch heraus gebracht. Er würde sich sehr freuen, wenn sein Buch (auf Russisch) - " San Galli - der Mensch und das Unternehmen " auch in anderen Sprachen veröffentlicht werden könnte. Ich habe mit etlichen Informationen und Bildern zu ihm bei tragen können. Sie erreichen ihn unter: smishlyaev@mail.ru (außer Russisch kann Herr Smishlyaev etwas Deutsch).

Beginnen möchte ich mit ein paar Worten ihres Übersetzers, mit der

EINLEITUNG und ERLÄUTERUNG zur LEBENSGESCHICHTE des Franz Karlowitsch SAN GALLI
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Im Nachlass des Dr. Hans von Boetticher (1886-1958), ehemals Direktor des Naturmuseums in Coburg, weltweit anerkannter Ornithologe (in der Landesbibliothek Coburg befinden sich weit über 400 Titel), ein Enkel des Obengenannten, fand sich die Lebensgeschichte des Franz Karlowitsch San Galli.

Sein Curriculum vitae gibt uns nicht nur Einblick in das Denken, Fühlen und Wirken dieses außergewöhnlichen Mannes, sondern auch in die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Epoche, ihre sozialen und ökonomischen Spannungen im Übergang nationaler volkswirtschaftlicher Systeme in eine Weltwirtschaft mit ihren internationalen Machtansprüchen.

Innenpolitisch führen die sozialen Spannungen zu politischen Auseinandersetzungen, nicht nur in Russland, sondern in ganz Europa, zu Streiks und Aufruhr. San Galli erkennt offensichtlich die Zusammenhänge und bemüht sich, z.B. soziale Maßnahmen für die Versorgung invalidisierter Arbeiter gesäzlich zu verankern. Gerade in der Vorsorge für seine Mitarbeiter ist er vorbildlich (Wohnungsbau, hygienische Maßnahmen, Schulen u.s.w.) und so wird bei ihm auch nicht gestreikt. Er wird Gründer einer Partei und siene Lobby "beeinflusst die gesetzgebenden Volksvertreter".

Wie San Galli auf wirtschaftlichem Gebiet seine Welt zu bessern versucht, so bemüht sich sein Zeitgenosse Leo Tolstoi (1828-1910) mit seiner" Kritik der gesellschaftlichen Convention und des sozialen Unrechts" mit christlichen Maximen seine verderbte Adels- und Oberschicht zu menschlichem Umgang mit den ihnen Anvertrauten anzuhalten.

Versuche mit tauglichen Mitteln am untauglichen Objekt!

Nach der Lehre ihres Zeitgenossen Karl Marx (1818-1883) (San Galli zitiert ihn in französischer Sprache) erbaut Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, auf den Trümmern ihrer zerbrechenden Welt die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und leitet damit eine neue Epoche der Weltgeschichte ein.

Der Großvater des Franz Karlowitsch San Galli, der 1755 in Pavia geborene und 1818 in Stettin verstorbene Bildhauer Carl Balthasar Innocentius San Galli wurde als Kriegsgefangener 1778 (Bayr. Erbfolgekrieg zwischen Preussen und Österreich) nach Stettin gebracht. Er nahm Dienste bei Generalfeldmarschal von Möllendorf in Königsberg und erhielt 1785t durch Krankheit Invalide geworden, seinen Abschied. Nachdem seine erste Frau Anna Zirottin (offensichtlich slawischen Ursprungs: Slrota ist die Waise) gestorben war, heiratete er zum zweiten Male und wollte ein "Emmeublement-Magazin vor laquirten und anderen Kunstarbeiten" eröffnen, um seinem elfjährigen Sohn, den er gerne als Bildhauer ausgebildet hätte, eine sichere Zukunft zu schaffen.

Dieser Sohn Johann Carl San Galli kämpft in den Freiheitskriegen unter Schill und ihm wird vom königl. Major und Brigadier von Massenbach auf seinen Wunsch der Abschied erteilt, nachdem "... er beim 2. Brandenburgischen Husarenregiment von Schill als Volontär, zuletzt bei meinem Kommando anvertrauten Westpreussischen Ulanenregiment als Unteroffizier treu und rechtschaffen gedient."

Dieser San Galli kämpft also bereits als Deutscher in den Freiheitskriegen. Dessen Sohn, der Verfasser des Curriculum sagt von sich "mit der mir eigenen deutschen Gründlichkeit", wird Russe und dient seiner neuen Heimat und seinen Herrschern mit "allen Kräften und nach allen Möglichkeiten".

Das Curriculum ist im Russischen des vorigen Jahrhunderts geschrieben und erfordert beim Übersetzen manchmal Raten und Kombinieren: Das Wort Towarisch z.B. ist heute die gebräuchliche Anrede in der S.U., obwohl eigentlich nur für Parteigenossen geltend. Die richtige Anrede unter den Bürgern der S.U. wäre eigentlich: graschdanin = Bürger.
Im vorliegenden Text kann Towarisch Minister eigentlich nur stellvertretender Minister bedeuten.

Auch die Interpunktion, das Setzen der Kommata z.B., wird offensichtlich nicht nach den Regeln der Rechtschreibung gebraucht, was bei den über viele Zeilen gehenden Schachtelsätzen manchmal verschiedene Deutungen zulässt. Und beim französischen Text werden die Buchstaben n und u verwechselt, z.B. epauchet statt epanchet. Die deutschen Zitate habe ich in großen Buchstaben wiedergegeben, um sie als original deutsch zu kennzeichnen.

Nachdem er aus dem aktiven politischen Leben ausgeschieden ist, bringt er seine Enttäuschung über den Niedergang in der Verwaltung, vor allem auf dem finanziellen Sektor zum Ausdruck. Die Zuspitzung der innenpolitischen Lage, die Revolution 1905 und die darauffolgenden "Stolypinschen" Reformen (ein Gefangenentransport heißt heute noch "Stolypinka") müssen ihn schwer getroffen haben. Wir wissen nichts über seine letzten Lebensjahre. Er starb 1908 in Petersburg.

Eine humanistisch gebildete und humanistisch denkend und fühlende außergewöhnliche Persönlichkeit.

Diese Autobiographie Franz San Gallis kann weder nach Umfang noch Charakter die Informationen über einen technischen Pionier und sein Werk so bieten wie ein Buch, das von einem erfahrenen St. Petersburger Techniker geschrieben wurde. Ich möchte ausdrücklich auch auf seine Übersetzungen in andere Sprachen hin wirken.

 

Curriculum vitae

(Franz San Galli im Arbeitszimmer seiner Fabrik)

 

- - - - - - - - - - - - - CURRICULUM VITAE des Fabrikbesitzers und Fabrikanten

FRANZ KARLOWITSCH SAN G A L L I

Petersburg 1903


Genehmigt durch die Zensur S.-Petersburg 15. März 190 3 Leschtuschowski Dampf-Schnellpresse P.O. Jablonski,
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Leschtukow Nr. 13

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L e b en s l a u f

des Fabrikanten und Fabrikbesitzers Franz Karlowitsch San Galli; Gedanken und Meinungen entstanden in langjähriger Tätigkeit; seine Teilnahme an Öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten; die Gründung seiner Eisengießerei und mechanischen Fabrik, und schließlich sein häusliches und familiäres Leben.

Der Lebenslauf ist aus dem Gedächtnis erstellt zur Belehrung meiner Nachkommenschaft.

BIN FABRIKANT IN RUSSLAND IM GANZEN REICH BEKANNT NENNT MAN DIF BESTEN NAMEN SO WIRD AUCH DER MEINE GENANNT
   (in deutscher Sprache!) à la Heine; - - - - - - - - - - - - - - --------------------------- - - - - - - - - - - - - der Übersetzer Dr. Fritz Pensel

Franz Friedrich Wilhelm San Galli, Sohn des Zollhauptinspektors der Zollmagazine in Stettin, Karl San Galli und seiner Frau Henriette, geb. Lübke, wurde im Jahre 1824 in Preussen, in Pommern, in dem altertümlichen Städtchen Kammin hoch über den Ufern des Boddensees geboren.
Vor Zeiten war diese Stadt Bischofsresidenz.

Mein Bildungsgang begann im Stettiner Gymnasium. Zu Hause wurde ich in Englisch, Französisch, Tanzen, Fechten, Reiten usw. unterrichtet.

Meine Sommerferien verbrachte ich gewöhnlich auf dem Gute meines Vaters, wo ich tagelang in den Feldern oder mit dem Gewehr auf den Schultern im Wald herumstreifte. Großen Einfluss auf meine Entwicklung im Allgemeinen und die Formung meines Charakters in Besonderen hatte meine Mutter. Dieses Alterchen war eine arbeitsame Frau, streng zu sich und zu anderen. Sie hatte feste, durch Lebenserfahrung gewonnene Prinzipien, an die sie sich selbst hielt und das auch von anderen verlangte. So sagte sie oft:

   "Üb´ Wahrheit, Fleiss und Schneidigkeit, - - - -- - - - - - - - - - - - - - -leb´ mit den Deinen in Einigkeit."

und dann
   "Es ist kein Meister vom Himmel gefallen, - - - - - - - - - - - - - - - - - -aber Übung macht den Meister."


Ich hatte eine Schwester, älter als ich, die ihr ganzes Leben nach Idealen strebte und auch meine Neigungen in dieser Richtung beeinflusste. Und sie lehrte mich Schiller und Goethe, Shakespeare und Poesie und die Künste lieben. Ich bin dieser Liebe mein ganzes Leben lang treu geblieben und ihr verdanke ich viele erhebende Gefühle und herrliche Eindücke: "Pflanzt Euren Kindern das Empfinden für das Schöne ein, erzieht sie zu den Idealen!"

Mein Vater, Sohn eines nach Deutschland eingewanderten Italiener war ein hochgewachsener, hagerer Mann, mit einer römischen Nase, schwarzen Augen und ebensolchen Haaren. Er diente unter Schill in den Befreiungskriegen. Er war ein schweigsamer Mann und bemühte sich, uns, seine Söhne eher sportlich zu erziehen, -so lehrte er uns Fechten, Gymnastik und flösste uns die Liebe zu den Pferden und zum Reiten ein, eine Liebe, die mich mein ganzes Leben nicht verliess. Das ist ein so gesundes und Mut und Männlichkeit weckendes charakterbildendes Vergnügen. In der Jugend wird das Fundament gelegt, auf dem schließlich das Leben aufbaut,und wichtiger im Leben als Wissen ist die Entwicklung von Kraft, Willen und Widerstandsfähigkeit.

Vater starb als ich 17 Jahre alt war, hinterließ der Mutter ein bescheidenes Erbe und eine Pension und so waren wir Kinder, wir waren 6, auf uns selbst angewiesen und mußten unseren eigenen Lebensweg finden.

So trat ich also in ein neueröffnetes Handelskontor ein, das Großhandel mit russischen Waren betrieb. Ich kann jungen Leuten, die sich in Handel und Industrie ausbilden wollen, nur empfehlen, in ein kleines junges, womöglich neueröffnetes Handels- oder Industrieunternehmen einzutreten. Hier kann er alle Arbeitsabläufe beobachten, alle Erfolge und Mißerfolge bei dem Bestreben vorwärtszukommen, den Kampf um die Existenz und dann um den Erfolg. In einem großen alteingesessenen Handelshaus erlebt er nur die alteingefahrene Routine, die auf dem Holzwege in die Irre fuhrt.

Ich war 19 Jahre alt, als ein Petersburger Handelshaus bat, einen jungen Handelsgehilfen partout fair auszuwählen und ihnen zu schicken. Gehalt 100 Papierrubel oder 50 Rubel in Gold, zuwenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Seinerzeit dachte ich oft an das amerikanische Sprichwort: "Take your aim, go ahead, never mind " (Faß Dein Ziel in's Auge und marschier' drauf los, ganz gleich was kommt). Diesen Spruch im Kopf, dachte ich darüber nach und erklärte mich mit dem Vorschlag einverstanden. Und so wurde ich in Petersburg in einem Handelshaus in der Exportabteilung angestellt. Mein neuer Chef übernahn die Reisekosten und so kaufte ich mir ein Billet für den Dampfer Adler, der zwischen Stockholm, Helsingfors und Rewel in Petersburg verkehrte (eine direkte Verbindung bestand damals noch nicht). Als ich nach Russland abreiste in ein weit entferntes, mir bis dahin unbekanntes Land, das in der Folge meine zweite Heimat wurde, verabschiedete sich meine Mutter mit Tränen in den Auren von mir, gab mir 100 deutsche Taler mit auf den Weg und ihren mütterlichen Segen.

Diese 100 Taler meiner Mutter hatte ich bald ausgegeben, aber den meinen in deutschen Landen in der Folgezeit tausendfach zurückerstattet. Der mütterliche Segen ruht noch heute auf meinem Haupt. Liebe, gute Mutter !

Das Außenhandelsbüro, in das ich in Petersburg eintrat, war unbedeutend, aber über das Schachspielen lernte ich dort einen jungen Engländer kennen und freundete mich mit ihm an. Der Vater des jungen Engländers handelte mit Dampfschiffen des damals bekannten Maschinenfabrikanten Franz Karlowitsch Berd. Da er mich öfters mit seinem Sohn sah,lernte er mich i näher kennen und besorgte mir einen Posten als Hilfsbuchhalter im Kontor der Berd-Werke mit einem Gehalt von 70 Silberrubeln im Monat. Das Gehalt wurde bald erhöht. Bei meinem früheren Chef war ich ganze 9 Monate geblieben. Die Buchhaltung und die Korrespondenz in den Berd-Werken wurde in englischer Sprache geführt; außerdem hatte ich für Herren Berd persönliche Briefe in französischer Sprache zu schreiben. Meine Arbeit war nicht schwer und so blieb mit genügend Zeit, über Wunschbilder, Lappalien und Dummheiten nachzudenken. In jener Zeit gab es außer den kaiserlichen Theatern keine anderen in Petersburg. Es traten erstklassige Künstler von Weltformat auf. Im französischen Theater Arnold Plessi, Brogan, Raschel, Bressan, Berton und in der italienischen Oper Mario Grissi, Tamberlik, Cakzollari, Patti, Nilson, Luka.

Zweimal in der Woche besuchte ich das französische Theater (man spielte fast ausschließlich ernste Stücke), man hielt es damals für die Akademie (beau langage et maniere) gepflegter Sprache und guter Manieren. Wie hat sich das alles geändert! Die Plätze auf der Empore, wo ich immer mit Studenten und Friseuren schwitzfe, kosteten 25 Kopeken. Und für das außergewöhnliche Vergnügen italienische Sänger zu hören, zahlte man 30 Kopeken. Als später das Michailowtheater um eine Etage aufgestockt wurde und das in akustischer Hinsicht herrliche Bolschoytheater, wo man die italienischen Opern gab, zerstört wurde,war mit ihnen auch die wahre Aufgabe des Theaters verschwunden :

DIE JUGEND DURCH WORT, GESANG UND DARSTELLUNG ZU DEN IDEALEN ZU FÜHREN, DAS REIFERE ALTER ZU ERHEBEN UND EDEL ZU UNTERHALTEN.

In den Berd-Werken arbeitete ich 8 Jahre. Ich schloß enge Freundschaft mit dem ältesten Sohn meines Chefs, ein thorough gentleman meines Alters. Er öffnete mir die Türen seines Elternhauses und führte mich in viele deutsche und englische Familien ein. Mit ihnen ritt ich aus und in Gesellschaft von 5 jungen Engländern, die alljährlich mit ihren rassereinen Hunden eingeladen waren gingen wir zur Jagd !

Unser ständiges Jagdrevier war das Dorf Gorilewo bei Dudegrof, wo wir jeden Sonntag Füchse und Hasen jagten. Wir fuhren in seiner Equipage oder in seinen englischen Booten, tanzten und zechten. In dieser Zeit habe ich, ein gut aussehender, feuriger junger Mann, viel geliebt und nicht nur platonisch. Ich habe mir niemals Liebe mit Geld erkauft, auf der anderen Seite war ich auch nicht kleinlich in der Wahl meiner Liebesgaben. Pater peccavi !

Noch heute kann ich nicht verstehen, wie sich junge Leute zurückhalten können, wenn das Blut zu kochen beginnt und auf Schritt und Tritt die Möglichkeit besteht, den Liebesdurst zu stillen. Deshalb mein Rat: Halte Dich rein und lebe enthaltsam soweit es möglich ist; aber der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach und wenn es Dich getroffen hat: enjoy and be thankful, aber bedenke auch: respice finem !

Zu dieser Zeit (1846) gingen die Geschäfte der Berd-Werke gut. Er wollte die Werke erweitern und ließ zu diesem Zwecke aus Schottland Meister zur Ausführung der Gießerei- und Schmiedearbeiten der im Bau befindlichen Niloajewbrücke (oder: Nikolajew-?) kommen und aus Paris Fachleute für die Bronzegußarbeiten der Isakijewskikathedrale, deren Kuppel ebenfalls in den Berd-Werken ausgeführt und vergoldet wurde, und für die Kapitele, Apostelstatuen usw. Zu meinen Pflichten gehörte die Korrespondenz mit diesen Meistern, sie, wenn sie nach Russland kamen, abzuholen und in der Stadt unterzubringen. Da diesen Leuten die Lebensart, die Lebensgewohnheiten, die soziale Lage und die Löhne der Arbeiter völlig fremd waren, hielt ich mich fast täglich bei ihnen in den Werkstätten auf, unterhielt mich mit ihnen, beobachtete die Arbeitsvorgänge und Arbeitsverfahren und interessierte mich so immer mehr für die Sache. Ich machte mich rein theoretisch mit den Eigenschaften der Metalle und des Brennmaterials bekannt und - nulla dies sine linea -studierte Statik und Mechanik, sodaß ich im Laufe der Zeit einei allgemeinen Begriff und eine Übersicht über das ganze Werk bekam.

So verlebte ich 8 glückliche Jahre bei Herrn Berd; ich lernte und genoß im Übermaß Vergnügungen in männlicher und weiblicher Gesellschaft. Weibliche Gesellschaft ist schwachen Charakteren nicht zuträglich, bei den Stärkeren aber wirkt sie bildend, mildernd und schafft Ritterlichkeit. Ich halte diese Zeit der Gärung vom 20. bis 25. Lebensjahr, erfüllt mit einem aufregenden Leben, mit süßen Gefahren und nebelhaftem Streben so gut wie entscheidend für die Zukunft eines Mannes. Es hat keinen Sinn, einem jungen Menschen in dieser Zeit vernünftige Ratschläge zu erteilen, und deshalb noch einmal respice finem ...

Als ich 28 Jahrealt war, begann mir die Herumtreiberei und das Zigeunerleben zuwider zu werden; von einem unschlüssigen Jüngling verwandelte ich mich in einen Mann, der den Wunsch hatte, sich seinen eigenen Lebensweg zu suchen und seinen eigenen Herd zu gründen. Take your aim, go ahead, never mind. Ich beschloß zu heiraten und ein eigenes Fabrik- und Handelsunternehmen zu gründen: beide Aufgaben löste ich. Meine Frau, Sofia Alexandrowna war die einzige Tochter des ehrbaren und reichen Kaufmanns Rosinski, in dessen Haus ich mehrere Jahre verkehrte.

Wenn man heiratet, bekommt man eine neue Familie - die Verwandtschaft Deiner Frau legt Dir bekannte, manchmals schwerwiegende Verpflichtungen auf. Die zu ignorieren hast Du kein Recht. Deshalb bedenke den Umstand, bevor Du die Ehe eingehst. Meine Frau war bei Gott keine Schönheit, aber mir sehr symathisch, tüchtig, mit einer guten Bildung und ergeben den schönen Künsten bemühte sie sich um die Hauswirtschaft und - last.not least - sie war gut gebaut und völlig gesund. Ich verlebte mit ihr in Harmonie 42 Jahre und teilte mit ihre Freud und Leid. Ich hatte mit ihr 4 Kinder, von denen nur ein Sohn mit mir in Russland verblieb, - alter ego in meinem Werk.

Der zweite Sohn verzog aus gesundheitlichen Gründen in's Ausland und verstarb dort; dorthin übersiedelte auch meine jüngste Tochter mit ihrem Mann und vier Kindern (eine meiner Enkelinnen heiratete kürzlich und ich wurde Urgroßrater - sie gebar einen Sohn). Und meine älteste Tochter und ihr Mann starben nach vier glücklichen Jahren. Sie hinterließ mir zwei Enkel, die bei mir aufwuchsen und da verblieben« sie nannten mich "Papa".

Da ich keine eigenen Mittel besaß zur Gründung eines Geschäftes, lieh ich mir bei einem Bekannten 5000 Rubel zu einem Jahreszins von 6 %, schrieb auf diese Summe einen Wechsel aus und eröffnete unverzüglich in der Ligowskistraße eine Werkstatt mit 12 Schlossern und Klempnern und gleichzeitig auf dem Newski-Prospekt einen Laden zum Verkauf von Kaminen, Waschschüsseln, Betten usw. aus Metall. Das war im Jahr 1653, die Werkstatt und der Laden existieren heute noch dort nach 50 Jahren am selben Platz. Aber die Werkstatt mit 12 Arbeitern verwandelte sich in eine große Fabrik mit 1000 Arbeitern, mit einer Wohnkolonie für diese Arbeiter,"mit vielen imposanten Werksgebäuden und mit Filialen in Moskau. All diese Gebäude (in Petersburg und Moskau 52 an der Zahl), ebenso die Siedlung der Petrowski sind ausschließlich von mir entworfen, und wo früher Ödland und Gemüsegärten waren, dort schuf ich die Einrichtungen, wo die Menschen zusammen mit mir ihr Brot verdienten und in schönen, bequemen und gesunden Wohnungen lebten.

Neben dem oben erwähnten Laden eröffnete ich einen zweiten ebenfalls auf dem Newski Prospekt Nr. 6 und in Moskau an der Kusnjetzkibrücke Nr. 26, beide in eigenen Häusern. Und der Verkauf meiner Waren erstreckte sich auf das ganze europaische und asiatische Russland, nach China und Turkestean, nach Wladiwostok und Port Arthur und brachte ein paar Körnchen Kultur bis in den letzten Winkel meiner neuen, teuren Heimat - Rußland. Meinen außergewöhnlichen Erfolg verdanke ich der glücklichen Auswahl meiner Produkte, meinen Hei fern und reiner treuen Kundschaft. Aber ich kann ohneweiteres sagen, daß der Löwenanteil beim Erreichen dieses außergewöhnlichen, vielseitigen Erfolges auf mein eigenes Konto geht. Und darauf bin ich stolz.

Es gibt da eine Regel, die wenige Ausnahmen hat. Der eine, der eine Sache anfängt, geht Bankrott ou à peu pres weil er einfach keine Erfahrung hat und schließlich kennt er seine Kundschaft nicht, aber sie ihn. Es dauert ein paar Jahre, bis man weiß wie der Hase läuft; der zweite, der ein Geschäft aufmacht, kann es nur mit Mühe halten und nur der Dritte wird, wenn sein Geschäft lebensfähig ist, reich, wobei die Entwicklur ähnlich den Wellen von einem in'sWasser geworfenen Stein im Allgemeinen nicht weiter als bis zur dritten Generation des Gründers reicht und dann ausläuft. Dieser Vorgang sollte nach statistischen Maßstäben untersucht werden.

Nach diesen Maßstäben hätte ich Bankrott machen müssen. Und wirklich, obwohl ich alle meine Kräfte, meine Energie und mein Wissen für die Entwicklung und den Erhalt meines neuen zweifelsohne gesunden Geschäftes anspannte, machte ich in den erste drei Jahren keine Fortschritte, ungeachtet meiner bescheidenen Lebensführung. Ich war überaus froh, daß mein guter Bekannter meinen Wechsel auf weitere drei Jahre verlängerte, aber bereits zu 10 % Jahreszins. Das war der letzte Wechsel, den ich in meinem ganzen weiteren Leben unterschrieb. Das waren schwere Jahre für mich, obwohl mein Geschäft erheblich wuchs und ich schon bedeutend mehr Aufträge bekam.

Erhebliche Unterstützung erhielt ich durch meine Brüder, vor allem dem jüngsten, den ich aus Stettin herbeigeholt hatte (meinen Vorfahren Robert San Galli). Mit ihm teilte ich immer allen Kummer und Sorgen. Damals zu Beginn unseres Wirkens wie heute 50 Jahre später, schritten wir unseren Lebensweg Seite an Seite in einer idealen Freundschaft. Wir besaßen keine Mittel und lebten sparsam. Oft waren wir genötigt, im Restorant Pelkina zu essen, wobei mein Mittagessen aus einem Teller Kraut und einem Stückchen Fleisch bestand und 20 Kopeken kostete. Meine Frau und ich lebten zusammen mit meinem Bruder im Hinterhaus in der 4. Etage; wenn wir nach Hause kamen, manchmal in Begleitung meiner schwangeren Frau, legten wir unsere Hände übereinander, bildeten so einen Sitz und trugen sie in unsere bescheidene hochgelegene Wohnung.

In dieser Lage, in der Sorge um die geliebte Frau und das Kind, spannte ich all meine Energie an, reiste nach Deutschland, England, Frankreich um Neuheiten ein zukaufen, neue Produktionsverfahren zu studieren, wurde Mitglied der Technischen Gesellschaft, las eine Unmenge Zeitschriften und Bücher und konzentrierte mich schließlich auf das Studium des klassischen Werkes "Traite de la chaleur" von Peclet. Dieses Studium hatte in der Folgezeit großen Einfluß auf den Erfolg meines Geschäftes. Gestützt auf dieses Studium baute ich die erste Warmwasserniederdruckheizung in Russland und zwar in den Orangerien des Zarenschlosses. Sie funktionierte so gut, daß das Baukontor des Zarenschlosses mir auch die Einrichtung solcher Heizungen auch an anderen Plätzen übertrug, auch die Wasserversorgung und die Kanalisati« des alten Zarenschlosses, die bis dahin im Handbetrieb funktionierte .

Bei weiterem intensiven Studium meines Peclet stellte ich Beobachtung und Untersuchungen über den Wärmeabgabekoeffizient« des Heizwassers und des Wasserdampfes an der Innenoberfläche der Gusseisenrohre, die Wärmeableitung durch deren Wände und ihre Abgabe über die Außenoberflächen durch Strahlung und Leitung an die Umgebensluft an. So erfand ich die Heizkörper, die wesentlich bequemer und praktischer für die Heizung von Räumen, Lüftungskammern, Trockenräumen usw. waren und nannte sie Batterien. Erheblich später wurden sie auch in Deutschland und Amerika verwendet, wo ich bei meinem persönlichen Besuch der Fabriken mit ihren Unternehmern bekannt wurde. Die Anerkennung meiner Arbeiten in Zarskoe Selo und der von mir er-fundenen Warmwasserheizung brachten mir einenvguten Profit ein, daß ich zu Beginn meiner zweiten Wechselfrist ohne Schwierigkeiten zahlen konnte. Nun konnte ich mit einem Lächeln auf den Lippen meinem Bekannten vorschlagen, daß ich ihm meinerseit zu 6 % leihen könnte, da ich über freies Geld verfügte.

Bei mir ging es jetzt schnell aufwärts: dem Schmiede-, Schlosserei- und Kupfergiessereibetrieb schloß ich eine Eisengiesserei an mit einem Kuppelofen für 25 Pud Gusseisen, der mit einem Holzventilator eigener Konstruktion ausgerüstet war. Vier Mann hielten den Ventilator in Gang, sie bewegten ein Schwungrad von 20 Fuss Durchmesser, das mit der 6 zölligen Antriebsscheibe des Ventilators verbunden war. Diese Vier (sie wurden durch andere abgelöst, wenn sie müde waren) betätigten mit ihren Händen die Kurbel des Schwungrades. Diese Kurbel war mit den Balanzierbrettern, auf denen sie standen, derart verbunden, daß sie im Auf und Nieder der Kurbel nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihr Gewicht einsetzten.

Während des Krimkrieges gab es keinen Koks und so kochte ich Gusseisen mit Anthrazit vom Don. Der kostete hier 1 Rubel und ich kochte damit 10 Pud Gusseisen.

Ich kaufte damals den Grund, auf dem sich die Werkstatt befand, das ganze Gelände ringsrum, ungefähr 1700 Klafter (Saschen - 2,13 m2 ) - Das waren Gärten für 4 Rubel pro Saschen und jetzt steht der Preis bei 60 Rubel pro Saschen. Während meines Aufenthaltes in Glasgow in Schottland studierte ich den vertikalen Ausstoß des Roheisens, den ich nach meiner Heimkehr in meiner neuerrichteten Giesserei anwandte. In Birmingham interessierte ich mich für das Polieren und die Endbearbeitung der Produkte. Dort hörte ich eines Sonntags die Predigt eines Methodistenpfarrers über das Thema:"without hasting, without resting" d.h. ohne Hast, ohne Rast. Der Geistliche machte großen Eindruck auf mich. Und da mein Weg schon vorgezeichnet war, entschloß ich meinen cri de guerre americain " Take your aim, go ahead, never mind" in das deutsche " Ohne Hast, ohne Rast " zu übertragen. Das ließ ich schließlich auf der Vorderfront des Archivs, das in der Mitte meines hohen komfortablen Kontors im monumentalen romanischen Stil stand, anbringen.

Nebenbei gesagt, je bequemer und angenehmer der Arbeitsplatz, desto lieber kommen und verbleiben die Angestellten und umso vorteilhafter für sie und ihren Arbeitgeber.

Nach diesem Denkspruch OHNE HAST! OHNE RAST! lebe ich nun schon 40 Jahre und ich werde mich bis zu den letzten Minuten meines Lebens daran halten.

Im Jahre 1864 geschah etwas, was die Bedeutung meines Unternehmens in den Augen meiner Kunden erheblich vergrößerte. Die Kirche des alten Schloßes in Zarskoje Selo war abgebrannt. Das Mitglied des Kaiserlichen Baukontors Hermann Jegorowitsch Pauker (später Minister des Verkehrswesens) erstellte einen neuen, originellen Entwurf für die Kirche. Nach diesem Plan sollte der Dachstuhl (die -Träger aus Eisenbeton) und die fünfköpfige Kuppel - eine sehr originelle Konstruktion - aus Eisen hergesteilt werden.

Zur Ausführung dieser interessanten und einträglichen Arbeit wurden zwei Bewerber eingeladen: mein früherer Chef Franz Karlowitsch Berd - ein Gigant in der russischen Industrie - und Franz Karlowitsch San Galli, klein und unbedeutend in diesem Bereich, aber des Vertrauens der zaristischen Verwaltung und des kaiserlichen Baubüros gewiss. Ich erkannte die Bedeutung dieses Auftrages für mein praktisches und theoretisches Wissen und für mein zukünftiges Verhältnis zum Bauwesen im Allgemeinen und zur Hofverwaltung im Besonderen. Und so entschloß ich mich, diesen Auftrag, koste es was es wolle, anzunehmen und zum Vorteil in der Zukunft einzusetzen. Infolgedessen erstellte ich eine für mich verlustreiche Rechnung; außerdem schlug ich vor, statt der kurzen einzelnen Winkeleisen zum Ganzen zusammen geschweißte einzusetzen.

Ich bekam den Auftrag, und das wiederum erhöhte meine Reputation unter den Ingenieuren und Architekten erheblich, da auch G.E. Pauker, ehemals Professor an der Ingenieurakademie und am Technologischen Institut, wo er vor den Studenten über Konstruktionstheorie las, sich einverstanden erklärte, selbstverständlich auch seine Originalkonstruktion und ihre Detailausführung im Werk San Galli in Auftrag zu geben Und schließlich wurde mir nach der Explosion und dem Brand in den Gemächern des Winterpalais seiner Majestät die Rekonstruktion der Decken mit Eisenstreben ohne Konkurenz übertragen.
Ich fertigte ein Modell der Kuppel für die Ingenieurakademie und eine weitere für Hermann Jegorowitsch persönlcih an, welche mir nach seinem Tode von seinen Erben zurückgegeben wurde und zusammen mit seinem Portrait das Kontor meiner Fabrik schmückt.

Während des obengenannten Auftrages besuchte mich Hermann Jegorowitsch sowohl in meiner Fabrik als auch zu Hause und so ganz nebenbei, als wir diskutierten und debattierten, hörte ich einen ganzen Kurs über die Baukunst. Oft genug, wenn ein schwieriger Auftrag auf mich zukam, holte ich seinen Rat ein. Wir hatten uns so aneinander gewöhnt, daß ich ihn, auch als er Minister war, fast wöchentlich besuchte und mich mit ihm unterhielt. Als er zum Minister ernannt wurde, sagte er mir: "Ich hatte gedacht, noch 10 Jahre zu leben, aber ich fühle, daß die Last der Aufgaben meine Jahre um die Hälfte verkürzt". Innerhall zweier Jahre starb er. Ganz seiner Wissenschaft ergeben, ein in höchstem Maße liebenswürdiger Gelehrter; kann denn ein solcher Mensch ein Ministeramt bekleiden? Ich bezweifle es, er ging ganz und gar in seiner wissenschaftlichen Arbeit auf.

Die zweite Begebenheit, die ebenfalls großen Einfluß auf meine Zukunft hatte, war die nähere Bekanntschaft mit dem Professor des Technologischen Institutes Iwan Alexandrowitsch Wischnegradski - ebenfalls später Minister (Finanzen). Für das Technologische Inst itut war das Finanzministerium zuständig und in meiner Eigenschaft als Mitglied des Handels- und Manufakturrates wurde ich vom Minister bei den Abschlußexamen der Studenten zum Auditor besteilt; einer der Prüfer für Mechanik war Iwan Alexandrowitsch.

1872 wurde zum Andenken an die verstorbene Zarin Nikolaja Alexa drowitscha eine Gewerbeschule gebaut. Der Rat beauftragte mich mit dem Einbau der Warmwasserheizung, ausgerüstet mit den von mir erfundenen Batterien, der Ventilation und der Klosettanlage. Iwan Alexandrowitsch nahm es auf sich, die Ausführung dieser technischen Objekte zu beaufsichtigen. Den Kessel für die Warmwasserheizung mußten wir im engen Kellerdurchgang installieren.

Da ich ich nicht genug Raum für den Rauchabzug und für das Ziegelmauerwerk des Kessels hatte, erbat ich den Rat von Iwan Alexandrowitsch. Liebenswürdig, wie er war, stand er lange in dem niedrigen Keller am Kessel: Er bedachte lange dieses und jenes und verwarf es wieder, aber es klappte nicht. Schließlich sagte der gelehrte Professor: "Wissen Sie, Franz Karlowitsch, wir grübeln umsonst und zerbrechen uns den Kopf, gehen wir doch und hängen wir die ganze Sache dem Ofenbauer auf; der kommt schon zurecht."

Der Theoretiker sollte, bevor er an die Fertigstellung seines Projektes geht, sich mit einem Praktiker beraten.

Iwan Alexandrowitsch verschaffte mir in der Folgezeit noch eine Menge Aufträge, u.a. z.B. den Bau des gewaltigen Gasometers für die kommunale hauptstädtische Beleuchtung.

Nach Beendigung der Arbeiten an der Gewerbeschule der Zarin Nikolajewa wurde ich zum ersten Male seiner Hoheit dem Thronfolger Zarewitsch Alexander Alexandrowitsch vorgestellt und später zweimal als er schon Zar war. Das dritte und letzte Mal hatte ich das Glück, als Deputat der Duma vorzusprechen zusammen mit den Abgeordneten W.I. Lichatschew und A.M. Ignatjew, als wir den Hoheiten anlässlich der Silbernen Hochzeit die untertänigsten Glückwünsche überbrachten. Und den der kaiserlichen Gnade anheimgestellten Beschluß der Duma, statt der hölzernen eine stabile Trojzkjbrücke zu bauen und sie AIexandro-Marianski zu nennen. Seine Hoheit war so gnädig, sein Einverständnis zum Bau der Brücke zu geben und befahl der Duma, seinen Wunsch kundzutun, daß die neue Brücke ihren früheren Namen beibehalten sollte, zu Ehren des Heiligen Trojzkj.

Beide Male wandt sich seine Hoheit mit Fragen an mich. Das letzte Mal im Beisein Ihrer Hoheit Maria Feodorowna sagte er: "Sie kommen aus Bayern? Darauf antwortete ich: "Nein Eure Hoheit, ich habe die Ehre vom selben Ort nach Russland zu kommen, wo Katharina II. geboren wurde - aus Stettin." Auf diese treuherzige Antwort lächelte Ihre Hoheit und Maria Feodorowna erlaubte mir gnädigst, ihre Hand zu küssen. Da hielt ich mich für den glücklichsten Menschen der Welt .

So gingen also von Jahr zu Jahr meine Geschäfte besser und, was die Haupt sache ist, es wuchs mein Ansehen als eines zuverlässigen Menschen und Fabrikanten. Ich war auf dem qui vive, wenn es um Neuentwicklungen ging und erfand selbst verschiedenes Desinfektionszubehör, Lüftungsöfen, gerippte Öfen und Geräte; meine hermetiseh schließenden Türen, automatisehen Waschanlagen und viele andere praktischen Geräte gingen über ganz Rußland bis nach Port Arthur. Jedes Jahr reiste ich in ' s Ausland für 6 Wochen (in Amerika verbrachte ich 3 Monate) immer in Begleitung meiner Frau. Und dank meiner Sprach- und Geschäftskenntniss sowie meiner Bekannt schaften, hatte ich Zutritt zu allen Werken, die ich besichtigen wollte.

Außerdem geizte ich nicht mit dem nervus rerum, d.h. mit Trinkgeld. Ich hatte häufigen Umgang mit den an Geist, Wissen und entsprechend ihrer Stellung bedeutensten Persönlichkeiten auf den Sitzungen des Ministeriums für Finanzen, Information und anderen. Ich bin der Überzeugung, daß dieser häufige Umgang großen Einfluß auf meinen Charakter und meine Lebensanschauung hatte. Bemüht Euch um den Kontakt mit bedeutenden Leuten - semper aliquid haeret! (es bleibt immer etwas hängen. Wird doch der Stahl durch Berührung mit einem Magneten selbst magnetisch!

Die Art und Weise der Arbeiten, die in der Fabrik auf mich zukamen und meine Findigkeit erwiesen sich so erfolgreich und einträglich, daß sie meine weitere Tätigkeit, den Ausbau und die Entwicklung meines Werkes bestimmte. Dabei befolgte ich den Grundsatz, der aber in kommerzieller Hinsicht nicht richtig ist, nämlich nach Möglichkeit alles zu tun, die Aufträge im eigenen Werk auszuführen, um hinsichtlich Qualität und Terminen unabhängig zu sein. Das zwang mich aber, in der Fabrik viele Abteilungen mit Spezialmaschinen zu halten und für ihren Betrieb eine große Menge an Waren zu bevorraten. Das erforderte zwar eine Menge Kapital, dafür war ich andererseits in der Lage, die Aufträge in kürzester Frist zu erfüllen. Die Vielfalt der Artikel, die ich in meinem Werk produzierte, war erstaunlich. So kam mein Werk in den Ruf, daß es alles, was man sich wünschte an Maschinen, Apparaturen und Geräten aus den unmöglichsten Metallen auch produzieren kann. Und ich förderte diesen Ruf, indem ich alle Aufträge - so schwierig sie auch waren - annahm, wenn ich nur die geringste Möglichkeit sah, sie zu erfüllen oder den oder jenen Vorteil oder Nutzen darin sah.

So baute ich z.B. das Siegesmal auf dem Trojtzki-Platz, die Dampfmaschine für die Beleuchtung des Winterpalais, Dampfpumpen für die städtische Wasserleitung, eine gewaltige Schleuse für das Kronstadter Dock, eine Vorrichtung für den Transport der Minenboote aus dem Wasser auf den Winterstellplatz. Dort befanden sich auch Hafenleuchten, Sirenen, Baderäume, Dampfküchen, Wäschereien usw. bis zu den kleinsten Geräten des häuslichen Komforts. Das alles wurde auch in meinen Läden verkauft. Die verschiedensten Artikel, ungeheuer wichtig, aber noch nicht ausgereift, bereiteten viele Schwierigkeiten bei der Planung, Berechnung und bei der Fertigung selbst, weckten aber nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Mitarbeitern lebhaftes Interesse und eine stete Anspannung geistiger und praktischer Aktivität. Diese Anspannung erzeugte in uns jene Eigenschaften, ohne die keine Sache erfolgreich zu Ende geführt werden kann: Liebö zu einer Sache, Initiative, Willenskraft und Ausdauer.

Im Jahre 1682 erhielt die Firma San Galli die Staatsmedaille für ihre Fabrikationsprodukte.

Meine Hauptkunden waren, wie schon gesagt. Seine Hoheit und alle Mitglieder des Kaiserhauses, viele staatliche Gouvernements und Öffentliche Einrichtungen, Banken (alJLen voran die Staatsbank), das Schatzamt, Kirchen, Fabriken, Krankenhäuser, Ingenieure, Architekten, Hausbesitzer, überhaupt wohlhabendes Publikum und Industrielle unseres ganzen weiten Russland.

In meinem eigenen und im Interesse der Leute, die mir Aufträge erteilten, und um sie von der Solididät meiner Betriebsanlagen zu überzeugen, wandte ich mich eines Tages bei Gelegenheit an den Hinister des kaiserlichen Palastes Graf I.I. Woronzow-Daschow mit der Bitte, mir die Ehre des Besuches meines Werkes zu erweisen, wo ja die Aufträge des allerhöchsten Hofes ausgeführt wurden, um sich persönlich davon zu überzeugen, wie gründlich man an sie herangeht und wie solide man die erteilten Aufträge aus führt, sodaß auch nicht der geringste Gedanke an eine Nachlässigkeit oder an eine Unzuverlässigkeit für die Fertigung besteht.

Der Graf erklärte sich liebenswürdigerweise bereit, zusammen mit dem Fürsten Obilenski zu kommen. Er besichtigte sehr aufmerksam das ganze Werk, die Kolonie und würdigte schließlich meine Villa aus Mauerwerk, die künstlerisch durch den Architekturprofessor G. Rachay ausgestaltet war, eines Besuches. Auch der derzeitige Minister kennt mich persönlich und die die Gediegenheit meines Werkes.

Im Jahre 1872, als ich 48 Jahre alt war, vollzog sich ein außerordentlicher Umschwung in der Zielrichtung meiner Tätigkeit. Ich blieb wie früher in der Hauptsache bei meinem Handwerk, übertrug aber einige Filialen (das Werk in Moskau, Geschäfte usw.) zuverlässigen Mitarbeitern. So wurde für mich Zeit frei, um mich gesellschaftlichen Dingen und Regierungsangelegenheiten zu widmen, die im Laufe der Zeit auf mich zugekommen waren, sodaß ich manchmal nicht wußte, wie ich mit ihnen fertigwerden sollte.

Da war ich zunächst von der russischen Kaufmannschaft in die Wahlversammlung gewählt worden Hier ginges fast nur um die Eintreibung von Schulden, Steuern und Wohltätigkeitsangelegenheiten, kaum aber um die Nöte und Erfordernisse des Handels und der Industrie. Hier wurden Fragen diskutiert, die mich kaum interessierten. Aber als ich von der Kaufmannschaft als Beisitzer in das Handelsgericht gewählt wurde, diente ich gewissenhaft und mit großem Interesse 4 Jahre und ohne Zweifel mit großem Nutzen für mich und möglicherweise auch für die Kaufmannschaft, weil ich mir die richtigte Beurteilung kommerziell? und Gerechtigkeit aneignete. Drei oder viermal wurde ich als Geschworener in das Kreisgericht gewählt. In dieser Zeit las ich mit Interesse einige Abhandlungen über Bürger- und Strafrecht, über verschiedene Prozesse und die Motive der Urteilsfindung. Mich überraschte, wie weit die Meinungen der Leute (Geschworene, Juristen) und der Rechtsprechung über Recht und Schuld auseinandergingen und wie oft das Gesetz mit dem Gerechtigkeitsgefühl und dem täglichen Leben selbst nicht übereinstimmte. Und das bestätigte meine alte Maxime: ein magerer Vergleich ist besser als ein guter Prozess.

Ich habe nicht im Sinn, an den Stand der Advokaten zu rühren: aber eine von niemand erbetene Einmischung in die Vereinbarungen zwischen Fabrikanten und seinen Arbeitern erweist sich manchmal als schädlich für deren gegenseitige Beziehungen, auch wenn die Arbeiter einen vom Advokaten angestrengten Prozess gewinnen, denn nicht sie bekommen den Löwenanteil des Erfolges, sondern das, was sie bekommen, bekommen sie erst nach Jahren. Deshalb glaube ich, daß es nötig gewesen wäre, gleichzeitig mit dem Gesetz für die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber bei Tod und Verstümmelung am Arbeitsplatz ein berufständiges Schlichtungsverfahren zu erlassen, um ohne Advokaten eine Entscheidung in Fällen dieser Art herbei zuführen wie das in anderen Ländern (Deutschland, England und auch bei uns in Finnland) praktiziert wird.

Als bei meiner Ankunft in Amerika bei der Zollkontrolle von den Zollbeamten auf der Suche nach Konterbande mein Koffer durchwühlt wurde und ich meinen Unmut zum Ausdruck brachte, sagte ein Amerikaner neben mir: Never quarel with a person that has the cold end of the poker in his hand.(Laß Dich nicht mit einem ein, der die Trümpfe in der Hand hat.) Im Jahre 1970 wurde die neue Polizei Verordnung herausgegeben, die der städt. Duma das Recht verlieh, im Rahmen des Gesetzes alle wirtschaftlichen Angelegenheiten der Hauptstadt definitiv zu entscheiden.

Die auf Grund dieser Verordnung gewählten Stadtverordneten sollten nach Klassen ernannt werden, ähnlich den Wahlen in Berlin, nämlich entsprechend dem Betrag ihrer direkten Steuern, den sie als Wahlberechtigte an die Stadt zu zahlen haben. Es gab drei Klassen, jede von diesen zahlte ein Drittel aller städt. Steuern und wählte 82 Abgeordnete.

Zur 1. Klasse gehörten 260, zur 2. Klasse 700 und zur 3. 17.000 Wahlberechtigte.

Damals interessierten mich die städt. Angelegenheiten kaum, deshalb wußte ich auch sehr wenig von ihnen, aber entsprechend meinem bürgerlichen Pflichtgefühl mußte ich mich zur Wahlklasse Nr. 2 zählen, zu der ich nach dem Zensus gehörte.

Mich freute es, daß ich zum Kreis der allseits bekannten Leute gehörte. Ich hatte nicht geahnt, daß ich einem so großen Wählerkreis der Stadt bekannt war und von ihnen gewissermaßen um die Wette gebeten wurde, ihre Kandidatur bei den Wahlen zu unterstützen.

Die städt. Verordnung gab den Wählern der ersten und zweiten Klasse das Recht, nicht nur Abgeordnete aus ihrer, sondern auch aus einer anderen Klasse zu wählen, wenn sie den Kandidate als Abgeordneten für die Duma für würdig hielten, obwohl er nicht ihrer Klasse angehörte. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich am Vorabend der Wahl, daß ich von der ersten Klasse zu Abgeordneten der Stadt St. Petersburg gewählt worden war. Meine Wahl durch die 1. Klasse einer Millionen-Hauptstadt ohne mein Betreiben, ohne meine Fürbitte, überhaupt ohne mein persönliches Bestreben, das war schon für mich eine große Ehre und ein schmeichelhaftes Vertrauen, das zu rechtfertigen ich mich verpflichtet fühlte. Und deshalb gab ich mir selbst das Wort, einmal zum Abgeordneten gewählt, nach Kraft und Vermögen der Stadt zu dienen und ihr meine freie Zeit zu widmen.

Zunächst besorgte ich mir die städt. Verordnung von 1870. Und entsprechnend der mir eigenen deutschen Gründlichkeit, begann ich, diese Verordnung zu studieren. Zur ersten Sitzung der Duma erschien ich zu früh, suchte mir einen geeigneten Platz in der zweiten Reihe aus, genau gegenüber dem Referenten, der auf gleicher Höhe mit dem Sessel des Stadtoberhauptes stand, legte meine Mappe ab und studierte die Situation.

Im Kampf, ganz gleich ob mit Waffen oder mit Worten, hängt der Erfolg von der Position ab, die man einnimmt. Genau wie beim Dinner, man sagt doch: "GUT GEMESSEN IST HALB GEGESSEN." Ich erschien zu den Sitzungen immer früh genug, um die Referate, die zum Vortrag bestimmt waren, ausführlich studieren zu können. Doch beteiligte ich mich in den ersten zig Debatten nicht an der Aussprache und begnügte mich lediglich, mich mit den geistigen und sittlichen Qualitäten der Hauptredner und Politiker vertraut zu machen.

Wenn auf der Tagesordnung wichtige Streitfragen standen, mit denen ich mehr oder weniger vertraut war, dann meldete ich mich zu Wort und hatte Erfolg. Oft genug bemühten sich Abgeordnete, die in der Sache mit mir einer Meinung waren, um meine Überzeugungskraft zu steigern, mir zu helfen, indem sie meine unvollkommene Ausdrucksweise verbesserten oder mir fehlende Worte soufflierten.

In der Folgezeit trat ich in den Debatten nur auf, wenn ich es für nötig hielt, eine mir aus Überzeugung ernste Angelegenheit zu verteidigen. Eine feste Überzeugung - das ist der Haupfverbündete im Kampf für die Wahrheit. Nach meiner Meinung ist es absolut nicht erforderlich, daß eine Rede glänzend vorgetragen wird: sie soll klar, sachkundig und möglichst kurz sein.

Nach und nach begannen sich Abgeordnete, die erkannten, daß ich ernsthaft nur das Wohlergehen und den Nutzen der Stadt im Auge hatte, sich um mich zu scharen und so wurde der Grundstein für eine Partei gelegt. Zunächst nahm ich Verbindung mit den Familien (nomina sunt odiosa) ((aus den Heroiden von Ovid? Schon der Name kann Verdacht erregen)) der im Geschäftsleben erfolgreichen Abgeordneten auf, indem ich sie zu mir nach Hause einlud. Sie genossen das volle Vertrauen und die Sympathie der Versammluntg. Unter ihnen war auch häufig der Stadthauptmann P.A. Presser. Manchmal während des Dinners oder bei einer Tasse Tee begann
ich das Gespräch auf städt. Angelegenheiten zu lenken. Um die Partei zu stärken und mehr Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten zu wecken, schlossen wir weitere 23 Abgeordnete an unseren Zirkel an, die sich unseren Zielen und deren Tendenz verbunden fühlten. Und diese 30 Mann trafen sich wöchentlich, montags, manchmal auch öfter, wenn es die Umstände erforderten, in meinem Hause, um Duma-Angelegenheiten zu besprechen.
Ich arbeitete ein Aktionsprogramm aus, dessen Zielrichtung bestimmte, unter welchen klar festgelegten Gesichtspunkten? der Besprechung der laufenden Duma-Angelegenheiten und bei der Wahl der Abgeordneten vorgegangen werden sollte.

Für die Wahl der Abgeordneten waren die bekannten Regeln aufgestellt worden. Ausgearbeitet wurde eine in Einzelheiten gehende Organisation und ein vorbestimmtes Ziel, auf das der Zirkel bei der Wahl der Abgeordneten hinarbeiten sollte. Dieses Ziel bestand in folgendem: In die Duma nur solche Personen zu wählen, die auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit nach Meinung des Zirkels des Vertrauens würdig waren und daß sie in der Lage und willens waren, der städt. Bevölkerung in materieller, moralischer und intelektueller Hinsicht zu nützen.

Für die Beratung der laufenden Geschäfte der Duma waren folgende Punkte maßgebend:

 1.

 

 Wasin unserer Sitzung ( die kleine Duma oder Partei der San Gallisten, wie man unseren Zirkel in den Zeitungen nannte) , mit 2/3 der Anwesenden beschlossen worden war, wäre wahrscheinlich von dem restlichen Drittel in der Duma nicht abgelehnt worden!

 2.

 

 Jeder von den 30 Mitgliedern des Zirkels war verpflichtet, vor der Duma-Sitzung mit mindestens fünf ihm bekannten Abgeordneten Fragen, die von Zirkel erörtert worden waren, zu besprechen und sie für eine dem Zirkel genehme Lösung zu gewinnen.

Die Sitzungen fanden abends in meiner großen Villa an der Ligowka statt und zogen sich nicht selten bis spät in die Nacht hin. Zum Schluß gab es ein bescheidenes Abendessen.

Unsere Partei oder Zirkel war fest geschlossen, arbeitete ernsthaft und brachte, wovon ich fest überzeugt bin, der Stadt unzweifelhaft Nutzen, schon allein dadurch, daß wir die Duma zwangen, nicht nur leeres Stroh zu dreschen, sondern in einer gründlich durchdachten Zielrichtung zu arbeiten.
Selbstverständlich gab es (Gottseidank) eine Opposition. Eine
Institution, die sich mit Fragen der Gesetzgebung (Parlament) oder mit kommunalen Angelegenheiten beschäftigt, wäre ohne Parteien undenkbar.

Jede dieser Institutionen bedarf ihres Programmes, einer Orientierung, eines Führers, um den sich die Mitglieder gruppieren und konzentrieren. Nur mit vereinten Kräften kann man zügig und erfolgreich arbeiten.

Die Meinung der Opposition, wie auch das Urteil der Presse, muß man untersuchen, überdenken, studieren, aber handeln muß man nach seiner eigenen Meinung.

Die Opposition halt ihren Gegner unter Beobachtung und überprüft sein Denken und Handeln, ce du choc des oppinions que jaillit la verite. (Aus dem Aufeinanderprallen der Meinungen sprudelt die Wahrheit) (Karl Marx: Nur durch den Widerspruch findet man die Wahrheit! Es scheint, daß ihm diese These von Karl Marx bekannt war!)

Man sagt, daß die herrschende Partei in schlechte Hände geraten oder von unwürdigen Leuten geführt werden kann. Nun, das kann beim Klassenwahlrecht kaum passieren: Die Wähler des 1. und 2. Standes, die jährlich große Summen in die Stadtkasse zahlen, sind einfach daran interessiert, daß die Summen zweckmäßig verwendet werden.

Wenn es das Klassenwahlsystem nicht gäbe, und die Mehrheit der Wähler zahlt ja nur eine unbedeutende Summe an Gemeindesteuern, dann wäre die Wahl eines Abgeordneten wegen seiner Parteizugehörigkeit oder wegen persönlicher Interessen eher möglich.

Die Lösung von Fragen, die das Wohlergehen der Hauptstadt betrafen oder Wirtschaftsfragen, die Wahl von Abgeordneten, der Mitglieder der Verwaltung, des Stadtoberhauptes und der Mitglieder der Kommissionen - all das wurde in umserem Zirkel vorbereitet. Die Versammlungen waren machmal stark besucht. So war z.B. zur Wahl der Kandidaten für das Stadtoberhaupt auch die Opposition eingeladen.

Die Besucherzahl überstieg 150 und auf meinen Vorschlag gaben sie einstimmig für zwei Vierjahresperioden ihre Stimme für W.I. Lichatschew. Man hielt ihn für besonders würdig für diesen schweren und manchmal undankbaren Posten als Bürgermeister der Hauptstadt Petersburg.

So war ich unermüdlich und nach Kräften entsprechend der seit 1870 gültigen Stadtverordnung im Verlauf von 20 Jahren tätig, bis die neue demokratischere Stadtverordnung herauskam, die das Klassenwahlrecht abschaffte, und die den Bürgern gleiches Recht gab in städt. Angelegenheiten mitzureden, ganz gleich, ob sie 5 oder 1000 Rubel jährlich an die Stadt zahlten. Ich gab meine frühere Rolle in Wahlangelegenheiten auf und an die Spitze der Wirtschaftsführung der Stadt trat eine neue Abgeordnetenmannschaft, der es bis heute nicht gelungen ist, ein Stadtoberhaupt zu wählen.

Zum ersten Mal wurde er von der Regierung ernannt (W.A. Ratkow-Roschnow). Bei der Wahl zur zweiten Vierjahresperiode für das Bürgermeisteramt wurde der von den Abgeorneten vorgeschlagene nicht bestätigt. In der Zeit von 1870-1890 schuf ich bei einem Budget von 12 Mill. für die Stadt Brücken (die Alexander- und Trojtzkibrücke), Wasserleitungen, die Pferdeeisenbahn, den Schlachthof, den Heumarkt, verschiedene Eisen- und Metallmärkte, die elektrische Beleuchtung, das Volksbildungswesen, das Sanitätswesen und das Krankenhaus.

Die zweite Periode von 1890-1902 - bei einem Budget von nunmehr 28 Mill. brachte der Stadt ein Pfandhaus !

Die Regierung scheint erkannt zu haben, daß die Haushaltslage der Stadt absolut nicht befriedigend ist und gedenkt, sie zu revidieren, und zwar durch Änderungen der alten Verordnungen. Das ist wie ich meine das einzig Richtige.

Während meiner Abgeordnetentätigkeit habe ich Projekte, die von der Duma angenommen waren, persönlich ausgearbeitet, z.B. die Brandschutzmaßnahmen und - Ausrüstungen für die Theater und die Öffentlichen Gebäude; die Vorsorgeeinrichtungen für Unfälle auf der Pferdeeisenbahn, das Verbot von Ausstoß schmutzigen Rauches aus den Schornsteinen der Fabriken, Bader, Dampfer usw.

Außerdem war ich Mitglied einer vielköpfigen Kommission für technische Fragen, u.a. für den Bau der Alexanderbrücke über die Newa. Zu Beginn war ich zusammen mit dem Direktor des Institutes ziviler Ingenieure Bernhard zur Beratung des Projekt von Ing. A.E. Struve eingeladen, und dann war ich Mitglied der Aufsichtskommission während der ganzen Zeit des Baues.

Persönlich ließ ich mich in einem Caisson 75 Fuss unter den Wasserspiegel hinunter, um die Stabilität der Pfeiler und andere Arbeiten zu überprüfen. Obwohl ich an der Stadtpolitik nicht mehr aktiv teilnehme, und nicht mehr teilnehmen werde, interessiere ich mich immer noch in Gedenken an die alten Zeiten und als bedeutender Hausbesitzer dafür, denn ich liebe meine Stadt.

Wenn ich zurückblicke und mir das alles in's Gedächtnis zurückrufe, was ich in den 20 Jahren in der Duma tätigen und erleben mußte, dann kann ich an all das nur mit großer Genugtuung zurückblicken. Alle Stadthauptleute, insbesondere F.F. Trepow, A.A. Koslow, P.A. Presser und W.W. von Wal brachten mir großes Wohlwollen entgegen und haben mir oft mit persönlichem Rat beigestanden. Meine Kollegen von der Duma, das Stadtoberhaupt, die Angehörigen der Verwaltungen und Abgeordnete haben mir oft ihre Anerkennung und ihre Achtung bezeugt. Ich erhielt von ihnen ein Album mit den Fotographien der gesamten Abgeordnetenbesetzung und eine silberne Schale mit den Namen derer eingraviert, die mich besucht hatten usw. Ein wertvolles Reisenecessaire schickten sie mir nach Nizza, wo ich mich zur Erholung aufhielt. Da sie meine dortige Adresse nicht kannten, sandten sie das Necessaire zusammen mit einem Telegramm an unseren Konsul, der alle Hotels abfuhr, um den bescheidenen Touristen zu suchen, dem le Maire et la Municipalite de la Capitale de l'Empire Russe ein Telegramm und ein hübsches Geschenk gesandt hatte. Eine schöne Erinnerung!

Als ich zu Hause in meiner Datscha bei dem Verfassen dieses Curriculum Vitae saß, wurde in Regierungskreisen die Frage der Revision der Stadtverordnung von 1890 ventiliert. In einem Resume betr. Stadtverwaltung während meiner Tätigkeit in der Duma erlaubte ich mir, Herrn Innenminister folgendes zur Kenntnis zu bringen:

 Euere Excellenz,
Sehr geehrter gnädiger Herr Wjatscheslaw Konstantinowirsch,

Während meines Sommeraufenthaltes in der Waldabgeschiedenheit am Meeresstrand und anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums meines Werkes und im 80. Jahre meines glücklichen Daseins habe ich für meine Familie mein Curriculum Vitae verfaßt. Ein Teil davon befaßt sich mit meiner 20-jährigen Tätigkeit (1870-1890) in der Petersburger Stadtduma. In dem Bewußtsein, daß sich Euere Excellenz um die Verbesserung des Ablaufs der hauptstädtischen Verwaltung und auch um den Ablauf der städt. Wahlen Sorgen macht, dachte ich mir, daß es vielleicht für Sie von Interesse und für den weiteren Verlauf nützlich sein würde, wenn ich Sie mit einigen Fakten hinter den Kulissen bekannt mache, die diese Angelegenheiten betreffen.

Ihnen diese Möglichkeit zu geben ist das einzige Ziel dieses Schreibens

.

 

Kurz darauf erhielt ich die Antwort, die mich sehr erfreute. Schmeichelhafte Eitelkeit brachte mich zu dem Entschluß, diesen Brief des Ministers vollständig zu bringen, obwohl ich das Gefühl habe, unbescheiden dazustehen.

 Sehr geehrter Franz Karlowitsch,

Ich erhielt Ihren interessanten Brief betr. Umgestaltung der jetzigen Stadtverordnung in Petersburg und fand darin einige belehrende Hinweise.

Herzlichen Dank für diesen wertvollen Beitrag für unser aller Sache, bitte Sie, meine aufrichtige und immer währende Hochachtung entgegenzunehmen.

W. Plewe 19. Nov. 1902


In der Folgezeit sah ich den Minister mehrmals; er erwies mir die Ehre seines Besuches und mein Eindruck auf ihn wuchs weiter:

He reads much; he is a great observer and looks quite through
the deed of men. Julius Caesar. Shakespeare.
(Er liest viel; er ist ein großer Beobachter und durchschaut die Menschen und ihr Tun.)

1872, als die Handels- und Manufakturkammer reformiert wurde, erhielt ich einen Brief vom Finanzminister, ob ich nicht Mitglied dieser Kammer werden möchte. Ich sagte gerne zu und auf den Vorschlag des Ministers wurde ich durch unseren allerhöchsten Herrn in dieser Eigenschaft bestätigt und bin daselbst seit 30 Jahren tätig. Ich bin kein Intrigant, und wenn ich in irgendeiner Verwaltung tätig bin, dann habe ich nur das eine Ziel im Auge , das dieser Einrichtung vorangestellt ist.

Wie in der Duma, so auch im Rat, mochte ich nicht Grundsatzfragen in Gang bringen, sie ausarbeiten und die Auswahl der entsprechenden Beamten übernehmen. Was die Wahlen anbelangt, so verlangte das Gesetz, daß die ersten 24 Mitglieder vom Minister ausgewählt und dem Zaren zur Bestätigung vorgestellt wurden, aber alle zwei Jahre schied die Hälfte von ihnen durch das Los aus und der Rat in seiner vollen Besetzung stellte dem Minister der Finanzen anstelle der Ausgeschiedenen 12-36 Kandidaten zur Auswahl vor, wobei jeder der 36 nicht weniger als 2/3 der Stimmen der Vorschlagenden haben mußte.

Die Erfüllung dieser Aufgabe, bei der der Rat die 12 in den Vordergrund schieben mußte, die er für die Erfüllung dieser ehrenvollen Aufgabe für würdig hielt, war nicht möglich sans un peu corriger la fortune. (Lessing: Minna von Barnhelm: das Glück verbessern, ein bißchen mogeln). Und tatsächlich, nach einigen erfolglosen Versuchen, dem Gesetz Genüge zu tun, lud ich die Ratsmitglieder zu mir nach Hause ein und hier wurde, hauptsächlich dank der Findigkeit unseres Mitgliedes Iwan Alexandrowitsch Wischnegradsk eine Formel für die Benennung der 36 Kandidaten gefunden.

24 von ihnen erhielten nämlich 2/3 Zustimmung, und die restlichen
12 alle 36 Stimmen. Nach dieser Formel habe ich im Verlauf von 30 Jahren eine Liste der Kandidaten für die Vorstellung beim Finanzminister ausgearbeitet. Selbstverständlich habe ich mich jedes mal mit meinen Kollegen beraten.

Noch mehr, als bei der Beurteilung abstrakter Fragen, sah ich mich auf den Gebiet des Staatshaushaltes praktischen Fragen gegenübergesteilt. Und bei jedem Minister (zu meiner Zeit waren es 6) traten immer neue Maßnahmen in Erscheinung, die sich oft diametral gegenüberstanden. Sie hatten alle das Ziel, den allgemeinen Wohlstand zu heben und das Staatssäckel zu füllen.

So z.B. verweise ich auf die Zollgebühren für Gusseisen, dem Basismaterial meiner Produktion (die von einem Volk benötigte Menge an Eisen ist ein Maßstab für sein Niveau), Als ich noch bei Berd arbeitete, war die Steuer auf ein Pud Eisen 1 Rubel und die Steuer auf Maschinen und Ersatzteile gleich null. Infolgedessen war der Maschinenbau, dieses wichtige formende Element in der Entwicklung volkswirtschaftlicher Kräfte in Russland de facto verboten.

So ergab sich folgende Kuriosität: um Gusseisen zum Schmelzen zu bekommen, wurden ganze Schiffsladungen Maschinenteile gröbster Provenienz zollfrei bestellt. Sie wurden im Werk zerschlagen und in die benötigten Gusseisenteile umgegossen. So waren die Wölfe satt und die Schafe wohlauf.

Dann fand ein Umdenkprozess in der Regierung betr. Gusseisen und anderer Fragen statt, wobei ich zu Besprechungen über die Änderung der Zollbestimmungen und anderer die Industrie betreffender Fragen die Ehre hatte, verschiedentlich vorgeladen zu werden, um meine Gedanken dazu zu äussern und Erläuterungen beizusteuern.

Also wurde das für die Maschinenproduktion benötigte Gusseisen vom Zoll befreit, und dafür die Maschinen besteuert. Dann -gradualiter - 1857 noch 0, dann 1866 45 Kop., 1882 - 1 Rub. 35K. 1885 - 1 Rub.80 Kop., 1887 - 2 Rub. 10 Kop., 1691 - 2 Rub.55 Kop 1894 - 2 Rub. 10 Kop. für das Pud nach konventionellem Tarif. Die Gebühr für das Roheisen stieg weiter an auf 5, 15, 25 und jetzt auf 45 Kop., d.h. um mehr als 100 %, also mehr als es an Ort seiner Förderung in Jekaterinoslaw im Ural kostet. Ich kauft meinen letzten Jahresbedarf in Lugansk für 41 1/2 Kop. In England kostet das Pud 40-45 Kop.

Und jetzt steht die Frage einer neuerlichen Steueranpassung in's Haus. Die Petersburger Gesellschaft für die Entwicklung und Förderung der Fabrikationsindustrie bat mich meine Meinung zur vorgesehenen Steuererhöhung auf Roheisen, Eisen- und Metallprodukte und Maschinen. Ich überarbeitete diese Absichten und die Gesellschaft veröffentlichte sie in der Januarnummer ihres Journales für 1892 und übersandte sie an den stellvertretenden Finanzminister für Industrieangelegenheiten und einige Fabrikanten in Moskau, Warschau, Petersburg und Riga.

Die Gundlage für meine Meinung war folgende Vorstellung: Ziel und Zweck der Volkswirtschaft und der Regierungsmaßnahmen ist Reichtum und Macht. Der wichtigste Faktor zur Erreichung dieses Zieles ist die Leistungsfähigkeit des Volkes ! Infolgedessen muß man diese entwickeln und die Mittel und Wege dieser Entwicklung verteidigen. Und eines der wichtigsten Mittel dieser Bemühungen ist die Mühe, die man in der metallurgischen Industrie für den Maschinenbau aufwendet. Deshalb muß das Ziel, der Steuerpolitik die Erhaltung des Arbeitspotentials sein. Diese Ideen entwickelte ich ausführlich in der oben genannten Denkschrift.

Einige Monate später berief der Professor des Technologischen Institutes, mein alter Freund und Kollege vom Rat für Handel und Manufaktur, dem vom Ministerium die Ausarbeitung des Entwurfes für die neue Besteuerung übertragen worden war, eine kleinere Sitzung von Fabrikanten ein. In Ablehnung meines Vorschlages, der angeblich infolge technischer Schwierigkeiten für die Finanzverwaltung nicht durchführbar war, stellte er einen von ihm ausgearbeiteten Tarif vor, der sich in keiner Weise von dem seit 10 Jahren bestehenden unterschied und der doch einen so ungünstigen Einfluß auf die metallurgische Industrie gehabt hatte.

Prof. Labsin stellte einfach für metallurgische Produkte und Maschinen zwei Rubriken und zwei Tarife auf: eine für Produkte ohne Nacharbeitung und eine für solche mit Fertigung und Nacharbeitung. Übrigens teilte ich in dem von mir ausgearbeiteten Vorschlag, der den Vorzug einer vernünftigen Besteuerung gegen ausländische Konkurrenz zum Ziele hatte und nicht die eine oder andere Bequem}ichkeit für die Beamten, die Produkte in Kategorien und Rubriken ein, entsprechend ihrer Qualität und ihrem Wert, ähnlich dem jetzt erstellten deutschen Tarif und noch feiner herausgearbeiteten beim ersten Augenschein ganz einfachen amerikanischen, wobei schließlich ein Besteuerungssat von 45 % des Produktionswertes herauskommt.

Die Amerikaner steilen in diesem Falle folgendes Prinzip in den Vordergrund: Unterstützung geniesst die körperlich schwere Arbeit der Werktätigen, was aber die Finanzbeamten anbetrifft, die ja vom Volke bezahlt werden, so sollen die sich gefälligst anstrengen.

Als die bedeutensten Maschinenbauwerke in Petersburg, Moskau, Warschau, Riga usw. von dem Projekt des Prof. Labsin erfuhren, baten sie das Ministerium, eine Versammlung unter seinem Vorsitz einzuberufen, um die für die Mechanischen und Maschinenbauwerke so wichtigen Fragen zu besprechen. Auf dieser Versammlung sprachen sich alle gegen die Beibehaltung der alten Besteuerungsform, die ja Zweck und Ziel nie erreicht hatte, aus. Ich erinnere mich, daß der gescheite und tüchtige Moskauer Fabrikant G.Krestnikow, mit dem ich mehrmals die Gelegenheit hatte, Hand in Hand gegen jene Maßnahmen, die uns unzweckmäßig und für die Industrie schädlich erschienen, zu protestieren, dieses Projekt mit einem eindeutigen Wort heruntermachte. Aber sogleich entschuldigte er sich, daß ihm das in der Hitze des Gefechts so herausgerutscht sei.

Das Resultat dieser Versammlung war, daß N.F. Labsin vorschlug, unser Gegenprojekt vorzustellen, aber bat, nach Möglichkeit eine komplizierte Einteilung nach Kategorien und Gewichtsklassen zu vermeiden, da die Vertreter der Zollverwaltung erklärten, daß schwierige Tarife einfach ihre Kräfte und ihr Wissen überstiege.

Die Fabrikanten gingen auseinander und jeder arbeitete entsprechend seinem Fachgebiet die tatsächlichen Unkosten für Maschinen und Geräte einerseits und die Produktivität andererseits aus, und man traf sich innerhalb dreier Wochen in Petersburg erneut. Da bat mich ein Freund meines Hauses, Emanuel Nobel (der Bruder des Dynamiterfinders Alfred Nobel, d. Übersetzer) (Erdölindustrieller, der auch eine Maschinenfabrik besaß), eine erste, kleinere Versammlung der Fabrikanten einzuberufen, um die Marschrichtung für die folgenden Versammlungen, die dann in der Öffentlichkeit stattfinden sollten, abzustecken. Ich tat das und wir skizzierten die Kategorien, die Taxierung nach Gewicht der Produkte und den annähernden Tarifsatz. Dieser sollt dann in der Versammlung exakt herausgearbeitet und N.F. Labsin vorgestellt werden. Auf diese Weise waren also die Meinung und Wünsche der Fabrikanten der Regierung bekannt.

Im Jahre 1903 am 16. Januar kam der von der Regierung bestätigte allgemeine europäische Zolltarif heraus. Aus seinem Inhalt ist ersichtlich, daß die Regierung zwar Rücksicht auf die Bitten der Fabrikbesitzer für Maschienbau und Metallverarbeitung nahm, aber daran festhielt, die Industrieprodukte auf Grund der von ihr aufgesteilten Tarife nach Kategorien einzuteilen, und zwar offensichtlich auf Grund der Schwierigkeiten für die Zollbeamten, die kaum dafür ausgebildet waren.

Nun, aus dem Inhalt des Gesetzes war ersichtlich, daß der Zollsatz des Eisens und Gusseisens derselbe blieb, das heißt unverhältnismäßig hoch ! Nach meiner Meinung hätte man den Zoll um die Hälfte verkürzen sollen, was die vaterländiche Industrie mehr als ausreichend geschützt hätte. Und außerdem hätte man die Obergrenze bestimmen müssen, über die hinaus dann ein internationaler Konkurrenzkampf hätte einsetzen können. Ein unverhältnismäßiges Ansteigen der Preise für Eisen und Gusseisen durch die Syndikate oder mittels anderer Möglichkeiten wäre verhindert worden. Dabei war doch die verbreitete Nutzanwendung dieser Grundstoffe für die Nation wünschenswert und für die Maschinenbauindustrie so wichtig.

Es erhebt sich die Frage, ermöglichte dieser anormal hohe Zoll auf Gusseisen, wie 45 Kop. für das Pud für die Metallindustrie noch einen Gewinn? Ja, lohnend insofern, daß Unternehmer und Spekulanten ermuntert wurden, Kohle- und Erzlager auszukundschaften und Produktionsstätten für Kohle und Eisen zu errichten.

Nun, da der Zoll viel zu hoch war, als daß er für das Kapital, das einen Einsatz suchte, einen großen Anreiz dargestellt hätte, und da die Industrie der ganzen Welt in einem Zustand höchster Anspannung war, da trieb der Impuls der Industrie durch die Tendenz, immer neue Werke zu gründen, ihre Entwicklung weit über die erlaubten Grenzen, die von ständigen Anforderungen des nationalen Marktes bestimmt waren, hinaus. Als Resultat zeigte sich, daß einige Werke nicht das nötige Kapital zur endgültigen Fertigstellung auftreiben konnten, ineffektiv und mit großen Verlusten arbeiteten, aber die, die voll ausgebaut waren, und unter in jeder Beziehung günstigen Bedingungen arbeiteten, zwar weiter existieren konnten, aber unter einer Überproduktion litten.

Die Firmen aber mit einem günstigen Standort, mit solider Basis und Verwaltung werden nicht eingehen, sondern sich weiter entwickeln zum Wohle der vaterländischen Metall-Industrie, und zwar umso sicherer und schneller, je eher die leichtfertigen Firmengründungen bankrott gehen. Da stellt sich die Frage: Wie kann man der Metall-Industrie unter diesen Umständen helfen?

"HILF DIR SELBST, SO HILFT DIR GOTT" sagt ein Sprichwort. finanzielle Hilfe ist im gegebenen Falle kaum hilfreich. Wird sie doch der Volkswirtschaft entzogen und schwächt diese anstatt sie zu stärken, anstatt sie zum Konsum und zum Kauf anzureizen. Bleiben noch die Staatsaufträge, die nach meiner Meinung in Krisenzeiten umfangreicher sein könnten. Aber nur solche, die dem Staat Nutzen und Ertrag bringen.

Ungewollt kommt es mich an, die Gründung, die Entwicklung und die augenblickliche Lage meines Werkes zu vergleichen mit den Gründungen in Großstädten in der letzten Periode, wo einer kurz fristigen Blüte ein ebenso schneller Ruin folgte.

Zur Selbsthilfe planten die Besitzer von Metall-Werken, die sich in einer windigen Lage befanden, ein Syndikat der gesamten Metall-Industrie zu gründen, um sich gegenseitig zu helfen; d.h. die Starken sollten die Schwachen stützen. So hätten die Starken die Schwachen mitschleppen sollen, die Schwachen hätte aber kaum auf den eigenen Füßen stehen können, und die Volkswirtschaft hätte mit Sicherheit die Zeche bezahlt.

Der Zusammenschluß von Fabriken und Werken, die sich mit der Herstellung von Metallprodukten oder einer anderen einheitliche Warengattung "beschäftigten, mit dem Ziel, die Qualität und die Preise zu normieren, wäre identisch mit einem Monopol, wenn er sich auch: Kartei, Syndikat, Trust, Gesellschaft für den. Verkauf von der russischen metallurgischen Werke usw. nennen würde.

Diese Monopole waren so lange absolut, wie hohe Zölle auf diese Produkte eine Einfuhr eben dieser Produkte aus dem Ausland nach Russland oder die weiten Entfernungen der Produktionsstätten oder gleichwertiger Produkte eine freie Konkurrenz unterband. Wenn es sozusagen entschieden ist, daß die staatlichen Verwaltungen kein Recht haben, Waren zu bestellen oder zu kaufen, die auch in Russland hergestellt werden, dann ist das Monopol der Syndikate unbegrenzt.

Jedes Monopol ist insofern schädlich, als es die Anreize vernichtet, die bei freier Konkurrenz zu einer Verbilligung und Verbesserung der Warenproduktion führen. Das Fehlen der Konkurrenz führt bei Angleichung der Preise zu einer Verschlechterung der Warenproduktion. Das wiederum birgt eine Gefahr in sich, z.B. bei der Herstellung von Kesseln.

Wenn das Monopol in den Händen der Regierung ist, und der Verbrauch seiner Produkte schädlich für die Volksgesundheit oder die Volkswirtschaft ist (Tabak, Wein), dann kann sie durch die Beseitigung schädlicher Elemente aus den Produkten, eine Preiserhöhung oder eine Erschwerung des Erwerbs den Verbrauch und damit den Schaden begrenzen. Bei Staatsmonopolen kommen die abgeschöpften Gewinne in jedem Fall wieder dem Volk zu Gute.

Ganz anders ist es, wenn ein solches Monopol nicht in den Händen der Regierung, sondern von Privatpersonen ist, die sich bei ihren Geschäften natürlich nicht um das Gemeinwohl kümmern, nicht um die Entwicklung der Industrie, nicht um der. Nutzen für das Land, sondern deren einziges und entscheidendes Ziel ihr persönlicher Gewinn ist, der nicht, wie bei der Regierung, dem Wohle und dem Nutzen des Volkes, sondern ihren persönlichen Interessen dient. Wenn sich dann auch noch Ausländer z. als Aktionäre einer Gesellschaft) beteiligen, dann fließt der in Russland erzielte Kapitalgewinn in's Ausland.

Entsprechend den Gesetzen des Zarenreiches (Ulosch. o rtakas . ugol.p.ispr.isd. 1885 g.st. 1180) waren derartige Vereinigungen von Fabrikanten, wie sie sich auch immer nannten, verboten, Ist z.B. der notariell beglaubigte Vertrag zwischen der Russischen Metallwaren-Gesellschaft für den Verkauf von Metallwaren-Produkten und den meisten Metallwaren-Werken gesetzwidrig.

Und dieser Vertrag war auch entsprechend den eben ausgeführten Gedanken schädlich für die Betriebe, die von solchen Produkten, die das Syndikat seiner Willkür unterwarf, abhängig waren. Abgesehen von der Gesetzwidrigkeit eines solchen Syndikats war er schädlich für die Industrie und das Imperium selbst.

Wenn man einen Zusammenschluß der Fabrikanten zur Normerung der Produktionsmenge und der Preise für ihre Produkte zuließe, dann müsste man gerechterweise auch eine Vereinigung der Arbeiter für die Regelung der Arbeitszeit und ihre Entlohnung zulassen.

Erst kommt die Zulassung der Ausbeutung von Volk und Staat, und das zieht dann Streik, Gewalt und möglicherweise Aufruhr und Rebellion nach sich.
Die Beachtung der bestehenden Gesetze durch die Fabrikanten gewährleistet eine freie Konkurrenz, d.h. Verbilligung und Qualitätsverbesserung der Waren - also Fortschritt.

Die Beachtung der Gesetze durch die Arbeiterschaft gewährleistet eine friedliche Lösung der Arbeitszeitfrage und der Entlohnung. Das entspricht der Forderung nach Umfang und Qualität der Arbeit und führt zur Verbilligung und Verbesserung der Lebensbedingungen, die Industrie entwickelt sich normal und im Reich herrscht Ruhe.

Entgegen den Gesetzen besteht jetzt eine Vereinigung der Fabrikanten, und da sie gesetzwidrig ist, kann sie nur geheim agieren und ist infolgedessen kaum effektiv, kann also auch den Wohlstand der Nation kaum fördern.

Entgegen den Gesetzen gibt es jetzt aber auch gemeinsame Aktivitäten der Arbeiter (Streiks, Arbeitsniederlegung, Versammlungen). Aber bei uns können sie nach meiner Meinung nicht länger dauern als zwei Wochen und sie brechen ohne Einwirkung der Administration von selbst zusammen. Es fehlen die persönlichen Mittel dazu (eine Unterstützung gibt es im Allgemeinen nicht) und bald geraten sie in Not und der Einfluß der vernünftigen Frauen, vor allem der verheirateten Arbeiter, die ja am meisten unter dem Streik zu leiden haben, wächst von Tag zu Tag.

Die Aufgabe der Administration muß hier der Schutz von Leben und Eigentum der Menschen und überhaupt die Unterbindung von Ausschreitungen der Streikenden sein, und dann müssen sie die Unruhen durch Feststellung der Schuldigen beenden. Also: Gewissenhafte Anwendung der Gesetze sowohl gegenüber den Fabrikanten, wie auch gegenüber den Arbeitern: Svaviter in modo, fortiter in re. (Milde in der Anwendung, schneidig in der Ausführung)

Schädlich, wenn auch nicht in dem Maß, wie die Syndikate, ist auch die Organisation einer Aufsicht über zahlungsunfähige Handels- und Industrieunternehmen. Einer solchen Aufsichtsbehörde gelingt es über viele Jahre selten, die Zahlungsfähigkeit der Verschuldeten wieder herzustellen. Alte Gläubiger halten sich über viele Jahre schadlos, wenn auch nur in kleinen Schritten, unter anderem dadurch, daß sie als Treuhänder des Verschuldeten eine Vergütung aus der Masse bekommen. Infolgedessen sind sie kaum interessiert an einer schnellen Beendigung der Treuhänderschaft und riskieren dabei nichts.

Wenn auch die Treuhänder nicht die eigentlichen Schulden bezahlen, nicht einmal einige Prozente davon, so stellt sie doch eine genügend starke, unnütze und für die Handelshäuser derselben Branche schädliche Konkurrenz dar. Es müßte ein Gesetz über die Treuhänderschaft her und strengere Regeln aufgestellt werden.

Als ich Mitglied des Handels- und Manufakturrates war, habe ich 20 Jahre dem Antragsausschuß für die Vergabe von Privilegien für Neugründungen angehört, und oft gelang es mir,entsprechend der mir zur Unterstützung vorgelegten Anträge zu entscheiden. Das ging ungefähr so vor sich, daß von den vergebenen Privilegic ungefähr 80 %'Ausländern gehörten und nur 20 % russischen Unternehmern, wobei die letzteren meist kleinere Unternehmen waren. Das war nicht besonders zweckmäßig und nach meiner Meinung nur riskant und verlustbringend für diese Unternehmen, die dann oft genug nicht in der Lage waren, ihren an und für sich ordentlichen Betrieb mit Leben zu erfüllen ohne das Know How, die Findigkeit und die erforderliche Erfahrung.

Russische im Ausland vergebene Privilegien gab es, soweit mir bekannt ist, überhaupt nicht. Dieser Fakt ist verwunderlich bei der geringen Entwicklung unserer Industrie und unserer Technik. Bei diesen Verhältnissen und bei Berücksichtigung der bekannten Regel: do, ut des (Gib, dann wird man geben) erhebt sich die Frage: wäre es nicht besser für Russland, diese Konvention über Privilegien ganz abzuschaffen (ähnlich der Literaturkonvention; und nicht unserer Industrie die Hände zu binden? Meiner Meinung nach muß diese Frage gründlich untersucht und entscheidende Maßnahmen müssen ergriffen werden. Jedenfalls ist die Frage der ausländischen Privilegien dieser Art Trumpf beim Abschluß von Handelsabkommen mit ausländisch en Mächten.

Von allen die Industrie betreffenden Ausarbeitungen, an denen ich als Mitglied der Subkommission teilnahm, möchte ich an das Gesetz über den Bau und die Instandhaltung von Dampfkesseln erinnern, und dann an das von mir allein ausgearbeitete Projekt über die Verantwortlichkeit des Fabrikbesitzers bei Tod oder Verstümmelung des Arbeiters. Dieses Projekt, das ich vorher kompetenten Personen, wie W.I. Kawalewski, W.I. Lichatschew, N.P. Longowo und einigen anderen mir bekannten Fabrikbesitzern vortrug, legte ich dem Herrn Finanzminister direkt zur Begutachtung vor. Und ungefähr ein Jahr später erschien das Gegenprojekt des Ministeriums. Dies unterschied sich von meinem dadurch, daß die Entschädigung für die verunglückten Arbeiter erhöht und der Kreis der entschädigungsberechtigten Angehörigen erweitert wurde.

Das entsprach den deutschen Gesetzen, Ja, das Ministerium ging sogar noch darüber hinaus, während meine Vorschläge eher den englischen Forderungen entsprachen und die der uns benachbarten Finnen übertraf. Deren Gesetze werden sicherlich in naher Zukunft den bald erscheinenden russischen angeglichen werden.

Man darf auch nicht aus dem Auge verlieren, daß die Entschädigung den Verletzten und ihren Angehörigen unabhängig davon ausgezahl wird, ob das Unglück durch eigene Schuld (30 %), aus Verantwortlichkeit des Unternehmers (25 %) oder durch zufällige Umstände, d.h. ohne Fremdverschulden (45 %) passierte. Deshalb hielt ich - zusammen mit den Fabrikanten, die an der Besprechnung des Regierungsprojektes teilgenommen hatten - die Festsetzung der verhältnismäßig hohen Entschädigungen für nicht gerecht.

Ungeachtet der Erschwerung eines friedlichen Ausgleichs zwischei Unternehmer und Verletztem erzeugt sie Simulanten und Selbstverstümmler ! Wenn aber das Gesetz keinen Schlichtungsausschuß ohne Mitwirkung von Advokaten (wie in allen europäischen Staater vorsieht, dann untergräbt es nach meiner Meinung nur den Arbeitsfrieden zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern und bringt dadurch viele Unternehmen in Schwierigkeiten.

Diese Arbeit des Rates der Industrie- und Handelskammern und der Bergbauindustrie besteht fast ausschließlich in der Prüfung von Anträgen für die Zulassung von Industrieunternehmen; alle Projekte zur Förderung und Verbesserung der Industrie kamen fast ausschließlich von der Industrieabteilung des Finanzministeriums und wurden dort üblicherweise unter dem Vorsitz des stellvertretenden Finanzministers W. Kowelewski? mit den obersten Vertretern der zentralen Industrie beraten.

Ich selbst hatte die Ehre, auf persönlichen Wunsch des Ministers und seiner Stellvertreter eingeladen zu werden. Wenn man die vielen Beweise der Auszeichnungen bedenkt, die ich im Laufe meiner Tätigkeit empfing, so habe ich das Recht anzunehmen, daß ich persona grata für den jetzigen Finanzminister S.J.Witte und seiner Vorgänger war, und für seinen talentierten,tüchtigen und gutmütigen früheren stellvertretenden Industrieminister W.I. Kowalewski - persona gratissima.

Ich erinnere mich, daß anlässlich der Einweihung der neuen grandiosen Abteilung der Russisch-Amerikanischen Gummimanufaktur mir die Aufgabe zufiel, einen Toast auf die Gesundheit von Wladimir Iwanowitsch auszubringen. Zum Schluß meiner Begrüßungsrede fand ich keine bessere Würdigung, als ihn einen Staatsmann mit einem warmen Herzen zu nennen.
Durch Vermittlung von W.I. Kowalewski wurde mir 1889 der Orden des Heiligen Stanislaus 1. Grades verliehen und auf Antrag seines jetzigen Nachfolgers W.I. Timiriasew der Rang eines Wirklichen Staatsrates. Und ein solcher war ich ja wohl auch wirklich.

Der Anlass für die Auszeichnung war mein Verdruß, als ich in der Zeitung las, daß ein reicher Kaufmann, den ich nicht als sehr würdig einschätzte, den Stanislaus-Orden 1.Grade bekommen hatte. Eben an diese/n Tage nahm ich an einer Sitzung des Rates unter dem Vorsitz von W.I. Timiriasew teil.

Als er aus irgendeinem Grunde während der Sitzung zum Minister gerufen
wurde, hielt ich ihn kurz an und bat ihn, dem Minister meinen Unmut nicht zu verhehlen, und daß ich alles hinwerfen und liegen und stehen lassen würde, wenn Iwan Alexandrowitsch nicht auch mir den Stern verleihen werde. W.I. Timiriasew kam nach einer halben Stunde zurück und teilte mir im Auftrag des Ministers mit, daß er mir den "Stern" nicht verleihen könne, daß er mich aber für den Rang des Staatsrates vorschlagen werde. Zum Neujahr empfing ich diesen Titel und das größte Geschenk für meine Frau war, daß ich sie mit "Eure Excellenz" ansprach.

1884 wurde unter dem Vorsitz des stellvertretenden Innenministers W.I. Klewe (jetzt selbst Innenminister) die Bereinigung der Streitfragen zwischen Fabrikanten und Arbeitern beraten. Ich nahm regen Anteil an diesen Sitzungen, und als dann das entsprechende Gesetz verabschiedet wurde, und eingangs ein vorläufiges Amt für Fabrikangelegenheiten (in der Hauptstadt
und der Provinz) geschaffen wurde, war ich dessen Mitglied und blieb es auch, als es in der Folgezeit eine ständige Einrichtung wurde. Jetzt ist diese Behörde umbenannt in Hauptstädtisches- und Provinzamt für Fabrik- und Bergwerksangelegenheiten. Und nun bin ich schon fast 20 Jahre Mitglied.

Unter anderem arbeitete ich hier "die Grundregeln für den Bau und die Erhaltung von Industrieanlagen" aus, und dann die "Vorschriften für den Bau von Gerberei- und Bleichereien" usw. Unsere Sitzungen wurden sehr geschickt vom Adjudanten des Stadthauptmannes (in der Provinz leitet sie der Gouverneur selbst) I.N. Turtschaninow geleitet; jetzt macht das Frisch.
Ich muß zugeben, daß wir mit den Anklagen gegen die Unternehmer möglichst nachsichtig umgingen, da wir das Strafrecht für zu streng hielten und unsere Strafen nicht den von Friedensrichtern und anderen Justizeinrichtungen zu verhängenden entsprachen.

So muß z.B. aus dem Lohnbuch, das jedem Arbeiter auszuhändigen ist, das Datum der Übergabe, die Lohnstufe, der Personalausweis, der Wohnort usw. ersichtlich sein, und wenn irgendeine der erforderlichen Daten fehlte, war eine Strafe von 5-25 Rub- für jedes nicht richtig geführte Lohnbuch fällig, bei hundert solcher schlampigen Lohnbüchern waren das 100 Rub. (mehr war nicht zulässig). Dabei hatte das Amt nicht das Recht, Milderungsgründe (offensichtliche Fehler, Mißverständnisse usw.) anzuerkennen. Aber - fiat justitia - es wird gestraft, weil das Gesetz es so will.

Und fast regelmäßig, wenn es uns allen (dem Adjudanten des Stadthauptmannes, dem Gendarmeriechef des Gouvernements und den Fabrikbesitzern) leid tat, dem Angeklagten wegen eines offensichtlichen Fehlers oder eines Mißverständnisses seines Verwalters eine Strafe von 200 - 300 Rub. aufzubrummen, fragte ich den Staatsanwalt, welche Strafe hätte der Angeklagte zahlen müssen, wenn wir ihm entsprechend internationaler ständiger Rechtssprechung mildernde Umstände bei der Aburteilung hätte zugestehen müssen.- "Ich schätze 15 Rubel" war die übliche Antwort.

Nach meiner Meinung war dieses strenge Gesetz die ersten 10 Jahr nötig, um Ordnung in die Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter zu bringen. Das ist aber jetzt überall erreicht! (Das strenge Gesetz sollte in gewissem Maße mildernd auf das humanitäre Verhalten der Fabrikinspektoren einwirken, Diese sollten die schuldigen Fabrikanten verwarnen, bevor sie ein Protokoll aufsetzten). Deshalb müßte man, nachdem die Beziehung zwischen Fabrikanten und Arbeitern genügend normalisiert sind, und beide Seiten ihre Rechte und Pflichten kennen und danach leben und handeln, das Gesetz überprüfen und mit den Friedens- und anderen Gerichten in Einklang bringen.

1876 erwies mir Baron Stieglitz, eine allgemein hochgeschätzte Persönlichkeit, ein Bankier, desses Vater früher praktisch der einzige Bankier in Petersburg war, die Ehre, mich in meinem Büro zu besuchen. Nachdem er sein Unternehmen genügend herausgestellt hatte, sagte er, er sei auf Anraten des Finanzminister Reiteren gekommen, um mich zu bitten, Mitglied des Verwaltungsrates der unlängst von ihm errichteten Mal- und Zeichenschule zu werden.

Für diese Schule hatte er eine Million Rubel bewilligt und sie sollte dem Finanzministerium unterstehen. Dankend für die mir erwiesene Ehre, entsprach ich der Bitte des Barons. Der Rat tagte ursprünglich unter seinem, dann unter dem Vorsitz seiner Tochter, faktisch jedoch unter der absoluten Führung seines Schwiegersohnes A.A. Polowzew.

Mitglieder des Rates waren sechs. Referent und dann Erbauer des grandiosen Museums der Mal- und Zeichenschule war der talentierte und in seinem Ruf untadelige Architekt Mesmacher. Als die Schule schon in Betrieb war und erste Früchte trug, starb der Baron Stieglitz. Entsprechend seinem großzügigen Vermächtnis hinterließ er der Schule eine bedeutende Summe. Als Mitglied des Rates verlas ich es und bestätigte es durch meine Unterschrift.

Laut Vermächtnis erhielt die Tochter des Barons, die Gattin A. Polowzews, 35 Millionen, die anderen Verwandten 7 Millionen; den verbleibeneden Rest von 7 Millionen vermachte er der Mal- und Zeichenschule. Bei solch erheblichen Mitteln beschloß man, ein grandioses Museum zu bauen, um dort die besten Erzeugnisse der Handwerkskunst auszustellen, die den Schülern, Knaben und Mädchen, seinerzeit an die 800, als Muster und Vorbild dienen sollten.

Zur Aufgabe des Architekten Mesmacher gehörte der Entwurf und die Erstellung des neuen Museums, sowie die Leitung der künstlerischen und pädagogischen Angelegenheiten der Schule. Genial und gewissenhaft entledigte er sich dieser sehr schwierigen und wichtigen Aufgabe. Als der Bau und die Einrichtung des Museums vollendet und ein gewaltiger Bestand an Kunstgegenständen erstklassiger Qualität (Möbel, Bronze, Gobelins, Zeichnungen) in den meisten Fällen von ihm selbst ausgesucht, angeschafft waren, fühlte ich mich, schon mit anderen Aufgaben reichlich ausgelastet, als fünftes Rad am Wagen. Denn A.A.Polowzew schaltete und waltete selbst und uns, den Mitgliedern des Rates, blieb nur, uns mit seinen Anordnungen und den geschaffene Tatsachen einverstanden zu erklären.

Da bat ich den Finanzminister, mich von meinen Pflichten zu entbinden. Bei der nächsten Sitzung ersuchte mich Frau Polowzew so feinfühlig und liebenswürdig, doch den Rat nicht zu verlassen, daß ich noch einige Sitzungen als Ratsmitglied verblieb. Nach kurzer Zeit jedoch hielt seine Excellenz A.A. Polowzew wegen einer Erkrankung eine Sitzung in seiner Wohnung ab. Und entgegen meiner und Mesmachers Meinung, die sich ganz an den Sinn des Vermächtnisses des Barons Stieglitz hielt, bestand er darauf, 300.000 Rubel des an und für sich unantastbaren Kapitals für eine Stiländerung eines Museumsraums zu entnehmen und holte dafür die Erlaubnis des Staatsrates ein. Darauf bat ich den Finanzminister, mich von der Ehre der Mitgliedschaft des Schulrates und der Finanzkommission zu entbinden.

Bald darauf verließ auch Architekt Mesmacher die Schule, da er ganz meiner Meinung war. Für diese Schule, in künstlerischer Hinsicht sein liebstes Kind, das er von ganzem Herzen liebte, hatte er ein Unmaß von unermüdlicher Arbeitskraft eingebracht.

Die Schule des Baron Stieglitz hieß Zentralschule, nach meiner Meinung zu Unrecht, denn in den ersten zehn Jahren gab es ja gar keine Filialen, deren Zentrum sie hätte sein können. Es bestand auch für diese Filialen kein Bedürfnis an Malerei im ganzen Zarenreich.

Übrigens hätten bei entsprechenden Einsparungen an Ausgaben für den protzigen Prunk bei der Einrichtung der Filialen das reich ausgestattete Budget durchaus gereicht. Hand auf's Herz kann ich sagen, daß ich auf Grund der persönlichen Leitung des A.A. Polowzew kaum einen Beitrag dazu geleistet habe und dieser Möglichkei t auch beraubt war. Trotzdem war ich 20 Jahre Mitglied dieses Rates.

Und genau der selben Untätigkeit muß ich mich beschuldigen, was die Gewerbeschule des Nikolai Pesarewitsch anbetrifft, dieser nützlichen Einrichtung, zu deren Beirat ich nun schon 30 Jahre gehöre. Außer einer jährlichen Zahlung von 300 Rub. und dem Ankauf von eigens für die Schule konstruierten Maschinen und der Übernahme von einigen Abschlußkursen in meiner Fabrik geschah von meiner Seite nichts. Nun, einen Dank habe ich nicht erbeten, und auch nicht bekommen.

Ich möchte noch eine Zufälligkeit erinnern. Bei einem kleinen Mitagessen bei einem meiner näheren Bekannten, befand sich unter den Gästen (ich war der einzige Zivilist) der eben aus Asien zurückgekehrte General Kuropatkin. Ich wußte, daß der Kriegsminister General Wanowski sich seines schweren Amtes entledigen wollte. Von ihm persönlich hatte ich vor 20 Jahren für den Bau des Siegesdenknals auf dem Trojtzkiplatz den Wladimirorden 4. Grades erhalten, und da ich von den hervorragenden Begabungen und Quali täten des Generals Kuropatkin gehört hatte, sagte ich in einer Rede nach dem Essen voraus, daß er Minister werden würde. Er nahm meine Worte verständlicherweise als Kompliment mit einem Schmunzeln auf. Zwei Jahre später wurde er Kriegsminister und in einem Glückwunschschreiben erinnerte ich ihn an meine Voraussage.

Neben der Mitgliedschaft in der Handels-, Manufaktur- und Bergwerkekammer, dann zunächst provisorischer, später ständiger Mitgliedschaft in der Stadtverwaltung für Industrieangelegenheiten im Verlauf von 20 Jahren und weiter zunächst provisorisch, dann ständig in der Gouvernementsverwaltung für 20 Jahre, bin ich noch Mitglied der Hauptverwaltung für Industrie und Bergbau. Weiter stellvertretendes Mitglied der Eisenbahnverwaltung und stellvertretendes Mitglied der Eisenbahntarifkommission.

Außer den Regierungsbehörden werde ich jetzt, wie in den frühere Jahren, vom Minister oder seinem Stellvertretern zu fast allen Generalversammlungen eingeladen, soweit sie die Entwicklung und Koordination der Industrie angeht.
Wenn ich von meiner Tätigkeit in den Regierungsverwaltungen spreche, muß ich auch der liebenswürdigen hochgestellten Persönlichkeiten gedenken, von denen nicht nur die Verwaltung und ihr Personal, sondern auch das Schicksal unseres geliebten Russland abhängt. Für die russischen Herrscher begann ich vor 50 Jahren zu wirken und arbeite noch rund um das Jahr ununterbrochen bis heute in den Palästen.

Mein erster Auftrag war die Installation der Niederdruckwasserheizung (der ersten in Russland) in den Treibhäusern des Schlosses von Zarskoje Selo. Das war unter der Regierung des Zaren Nikolaus I.

Unter dem Zaren Alexander II. baute ich die Kirche und erhielt für die gelungene Eisenkonstruktion der Kuppel meinen ersten Orden. Unter Zar Alexander III. baute ich das Siegesdenkmal, das als Miniaturmodell vorübergehend im Wintergarte] meiner Villa aufgestellt war. Hier wurde es von seiner Hoheit dem Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch besichtigt. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch mein Werk, die Arbeiterkolonie und meine Villa. Er bewunderte besonders die Bilder- und Marmorgalerie. Das Modell des Denkmals befindet sich jetzt in einem der Räume der Ingenieurakademie.

Weiters baute ich die Dampfmaschine für die elektrische Beleuchtung des Winterpalais. Und alle Aufzüge (jetzt baue ich in Alexandria), die künstlerische Ausgestaltung des Tores und der Geländer der Freitreppe; alle Eisenbrücken in Zarskoje Selo und Gatschinja und viele Dampfmaschinen. Unter der Regierung des Zaren Nikolaus Alexandrowitsch das Palmenhaus, die Orangerie und wie vor 50 Jahren unter der Regierung des Zaren Nikolaus I, baute ich in den Treibhäusern von Zarskojw Selo die erste Niederdruckwarmwasserheizung in Russland. Die letzte eben erst unter dem Zaren Nikolai Alexandrowitsch fertiggestellte ist ebenfalls eine Niederdruckwarmwasserheizung, aber schon verbessert durch die Ausrüstung mit meinen Batterien, wie in Zarskoje Selo, aber nicht nur in den Treibhäusern, sondern auch im Zarenschloß selbst.

Ich bin reich. Aber ich habe nie an der Börse spekuliert, und spiele auch nicht Karten. Die Spekulation an der Börse ist vielleicht einträglich für Makler und natürlich für die Bankiers, kaum einträglich für den Handel, aber auf jeden Fall verderblich für das breite Publikum. Kartenspielen ist etwas für Träge und Faulenzer, um die Zeit totzuschlagen, gefährlich bei der Erziehung von Kindern und geradezu unverzeihlich für Damen.

HOMO SUM ! HUMANI NIHIL A ME ALIENUM PUTO !

Déja à 16 ans je sentis ce sentiment mystérieux si plein de charmes et de reveries douces qu'on appelle l'amour. Ne dans l'ame, l'amour s'epauche sur les sens, et en s'enflammant de plus en plus, il devient une ivresse des sens, qui , au paroxysme se manifeste comme les tremblantes etamines et les pistils dans le calice d'une fleur. Le fond d´ un sentiment pareil ne m'a pas fait defaut mais l'amour de ma jeunesse, muri par l'age, et par l'experience, le coeur controle par la tete , s'est change en une profonde sympathie pour tout ce qui est vraiment femme.

Donc j'aime les femmes! J'aime et j'honore les femmes serieuses, les fideles compagnes de notre vie, les tendres meres de nos chers enfants, auxquels elles impriment le cachet de leur être. Ces braves femmes sont la joie de nos jours et notre consolation. J´aime et j´adore aussi les petites femmes! Si gentiles, spirituelles et rieuses, meme celles qui sont un peu legeres, bien entendu, s'il n'y a pas d'anguille cachee sous l'herbe. Apres mon serieux travail de la journee, leur aimable societe, leur rire, leur chant est pour moi, tout comme le leger et delicat dessert qui suit un solide repas succulent. Leur presence emousse et amollit les raides et seches conceptions et speculations du cerveau penseur, anime le coeur et repose l'esprit.

Aimez, honorez et adorez les femmes - librement, chaudement, mais en tout honeur!

 

Aus innerster Seele ergießt sich die Liebe über die Sinne und sich immer mehr entzündend geht von ihr ein Sinnesrausch aus, der sich auf seinem Gipfel offenbart als zitternder Schleier und wie ein Blütenstempel im Kelch einer Blume.

Die Tiefe eines ähnlichen Gefühls hat mich keinen Fehler machen lassen, aber die Liebe meiner Jugend ist im Alter gereift und mein Herz ist durch Erfahrung unter Kontrolle des Kopfes gekommen, und hat sich in eine tiefe Sympathie, für alles, was wirklich weiblich ist gewandelt. Denn ich liebe die Frauen! Ich liebe und verehre die seriösen Frauen, die treuen Begleiterinnen auf unserem Lebensweg, die liebevollen Mütter unserer teuren Kinder, in die das Siegel unseres Seins geprägt ist.

Diese braven Frauen sind die Freude unseres Tages und unser Trost. Ich liebe und bewundere auch die jungen Frauen. So nett, so geistreich und lustig, auch die, die ein wenig lustig, natürlich sich geben, wenn sie sich nicht scheuen, sich im Grünen zu verstecken. Nach meinem ernsten Arbeitstag ist ihre Gesellschaft, ihr Lachen, ihr Gesang für mich ganz wie ein leichtes und delikates Dessert nach einem soliden umfangreichen Mal. Ihre Anwesenheit lindert die Härten, Angriffslust und mildert die Vorstellungskraft und die Fantasien des denkenden Gehirns, regt das Herz an und beruhigt den Geist.

Liebe, ehre und bewundere die Frauen — ungezwungen, heißblütig -- und in allen Ehren !

Donc je suis riche. Wer 50 Jahre arbeitet und von Anfang an sich nach dem Grundsatz richtet "take your aim, go ahead, never mind" (Faß Dein Ziel ins Auge, geh darauf los, gleich was kommt) und weiter "OHNE HAST, OHNE RAST", der erreicht schließlich sein Ziel "gutta cavat lapidem non vi, sed semper cadendo" (steter Tropfen höhlt den Stein).

Vor 30 - 40 Jahren kaufte ich in Petersburg ein großes brachliegendes Gelände; das war eine sichere Kapitalanlage für jemand, der nicht unbedingt auf ein schnelles Wachstun durch Zinsertrag angewiesen war, sondern vorausschauend dachte. Auf diesem Gelände baute ich die Fabrik und vergrößerte sie von Jahr zu Jahr entsprechend den reellen Bedürfnissen. Bei der Fabrik baute ich eine Kolonie für die Arbeiter und ihre Familien. 22 Häuser, unterteilt durch Baumreihen und ein großes Gebäude für die Schule, versorgt mit einer Wasserleitung aus der Newa und mit Kerosinbeleuchtung.

Voriges Jahr lud mich der stellvertretende Innenminister zu sich nach Hause ein und fragte, warum sich die Arbeiter meines Betriebes ruhig verhielten, während andere Fabriken streikten und dort Chaos herrschte? Darauf antwortete ich ihm, daß neben anderen Gründen, wie z.B. der Abgeschiedenheit meiner Kolonie durch meinen persönlichen Kontakt zu den älteren Arbeitern und die Vorsicht bei der Auswahl neuer wie Öl auf das stürmische Meer wirkt: in der Kolonie sind die Arbeiter immer zu Hause bei ihren Familien, bei Frau und Kind, und die halten sie zurück.

Ich baute auch größere Häuser, Wohnungen für mein alter ego meinen Bruder - und für Ingenieure, Verwaltungspersonal und für Mieter. Als diese Häuser fertiggestellt waren, baute ich in der Ligowskistraße eine Villa mit einem Park.

Sie hatte ich schon früher für meine Familie und mich entworfen. Diese Villa zeichnet sich durch einen bemerkenswert zarten Stil aus und wurde von dem verstorbenen Architekten Professor Rachay geschaffen. Angefüllt mit Gemälden und Marmor- und Bronzestatuen erster russischer und ausländischer Künstler, ist sie eine der Sehenswürdigkeiten von Petersburg. Sie wurde häufig von Liebhabern der Architektur, Malerei und Bildhauerei besichtigt. Diese Villa, wie alle anderen Häuser, wurden von Architekten nach meinen Plänen entworfen und gebaut.(Du mußt selbst wissen und entscheiden, wie Du leben willst, der Architekt berät Dich und arbeitet die Details aus).

In dieser Villa lebte ich mit Frau und Familie 20 Jahre. Acht Jahre älter als meine Frau, nahm ich an, daß ich vor ihr sterben würde und sie nicht allein in dem großen Haus bleiben möchte. Deshalb baute ich für sie eine kleine Villa mitten im Park, in der Nähe des Werkes. Nun - DER MENSCH DENKT UND GOTT LENKT -meine Frau ist schon lange gestorben und ich lebe noch, ich bin gesund und lebe in dem für meine Frau gebauten Haus zusammen mit einem meiner Enkel. In der großen Villa wohnt mein Sohn mit Familie.

Mein Sohn, mein Bruder und alte erfahrene Angestellte verwalten mein Unternehmen ohne, daß ich groß Anweisungen zu geben brauche. EINE SCHWERE AUFGABE SICH ZUR RECHTEN ZEIT UND OHNE SCHOCK FÜR DIE SACHE UND DIE NACHFOLGENDEN ZUR REISE "VON DER KEIN WANDERER WIEDERKEHRT" VORZUBEREITEN, OHNE DAS ARBEITEN, DIESEN LEBENSNERV AUFZÜGEBEN!

Außer diesem wertvollen Besitz in der Ligowski habe ich noch ein Haus auf dem Newski Prospekt und große Grundstücke auf der Petersinsel am Ufer der kleinen Newa, wo ich begann, eine weitere Kolonie für Privatmieter zu bauen. Dort wurden außer den bereits von mir errichteten 6 Häusern weitere 6 im Villenstil errichtet mit allem Komfort: mit elektrischer Beleuchtung in den Aufgängen mit Licht- und Schalldämpfung, Kanalisation, Eisschränken usw. Ich nenne diese Gebäude "San Galli Städtchen" in der Absicht, dort noch weitere Häuser zu bauen, sobald die Stadt die Pferdebahn dorthin verlegt.

GUTE WEGE SIND DIE ARTERIEN, DIE DAS ERNÄHRENDE BLUT DES VERKEHRS DURCH DEN KÖRPER DER STADT UND DES LANDES LEITEN.

Außerdem besitze ich noch zwei wertvolle Häuser in Moskau. In einem (an der Kusnjetzkibrücke; befindet sich eine Handlung, in dem anderen eine Zweigstelle der Fabrik.

"Tout soldat francais port dans son gibeciere le bäton de marechal de France (Jeder französische Soldat trägt den Marschalstab in seinem Tornister) sagte der große Heerführer Napoleon, um den Ehrgeiz und die Courage seiner Soldaten anzuspornen. "Halte durch Kosack und du wirst Ataman" sagte ein russischer General und wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Haupteigenschaft des Kosacken Ausdauer und Gehorsam ist. Und ich meine: Mit gesundem Menschenverstand, Initiative, Willenskraft und Ausdauer wird jeder mit der Zeit General in seinem Bereich. Von einem einfachen Lehrling stieg ich Schritt für Schritt auf und bin jetzt Leiter einer tausendköpfigen Fabrikbelegschaft mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern, Meistern, Ingenieuren und zwei Helfern, die à la hauteur (in hohem Maße) ihrer Berufung gerecht werden, meine beiden alteri ego,, mein Bruder, der mir 50 Jahre zur Hand geht und mein Sohn, dem einzigen Nachfolger meines Industrieunternehmens.

Nun, General wurde ich nicht nur in meinen eigenen Angelegenheiten, sondern auch in direkter Bedeutung des Wortes. Für meine langjährigen Dienste in den verschiedenen Räten und als Angehöriger verschiedener staatlicher Verwaltungen und für die exzellente Ausführung bedeutender Bauten wurde mir neben den verschiedenen Orden durch seine allerhöchste Gnaden, den unvergesslichen Zar Alexander III. der Titel Wirklicher Staatsrat mit dem Prädikat "Exzellenz" verliehen.

Zu diesem Beweis seiner Gunst fügte der Zar Nikolai Alexandrowitsch neue Ehrungen hinzu, indem er mich mit dem Orden des Heiligen Stanislaus 1. Grades auszeichnete, der mit der Erhebung in den persönlichen (nicht erblicher! d.Ü.) Adel verbunden war. Der Titel "Eure Exzellenz" hat eine erhebliche Bedeutung im Verkehr mit den Verwaltungsdienstellen und meine Mitarbeiter sind stolz darauf, daß ihr Chef eine so hohe Auszeichnung von ihrem geliebten Herrscher erhielt.

Der Titel Persönlicher Adel (vorher war ich erblicher Ehrenbürger) war verbunden mit der Verpflichtung, jährlich eine nicht unerhebliche Riimme der Kasse des Erbadels zu überweisen, ohne das Recht, irgendwie mitzureden in der offensichtlich sich in nicht sehr gutem Zustand befindlichen Verwaltung. Was also tun?

Dem Zaren, zu tiefem Dank verpflichtet für die Gnade seiner vielseitigen Ehrungen und Ernennungen und glücklich bis zu meinem Lebensende, für ihn wirken zu dürfen, wie gewiss auch meine Nachkommen und Nachfolger, mochte ich doch einen Erbadel nicht annehmen, da dieser mit soviel Privilegien und Vorteilen verknüpft war, die meine Nachfolger möglicherweise von ihrer Aufgabe abgehalten hätten, nämlich in erster Linie und hauptsächlich den guten Namen und die Reputation der Firma F. San Galli zu erhalten und zu fördern.

Alles, was ich wünsche ist, daß meine Nachfolger für den Zaren und das Vaterland im selber. Sinne und mit demselben Eifer arbeiten wie ich mich bemüht habe, damit die Nachwelt sagen kann, wie ich jetzt schon mit Stolz sage:

   BIN FABRIKANT IN RUSSLAND - - - - - - - - - IM GANZEN LAND BEKANNT - - - - - - - NENNT MAN DIE BESTEN NAMEN
SO WIRD AUCH DER MEINE GENANNT

(Deutsches Zitat nach H. Heine)

 

Am 2. Februar 1903 kam dann der ruhmreiche, für mich so bedeutende Tag des 50-jährigen Jubiläums der Gründung des mir so teuren Werkes, für das ich mit so viel Liebe alle Mühen auf meine Schultern genommen habe. Ein halbes Jahrhundert !

Ich beschloß, diesen Tag im engsten Familienkreise mit Mitarbeitern und Arbeitern zu feiern.

Am Vorabend lud ich alle Angestellten zu einer gemeinsamen Tafel ein. Als der Champagner gereicht wurde, wandte sich W.K. Müller, der vor vielen Jahren als Lehrling in unser Büro eintrat, jetzt Kassierer und ein Freund des Hauses, mit Worten voller Gefühl im Namen aller Angestellten an mich, worauf ich entgegnete. Dann folgte Rede auf Rede ebenso bewegt und durchdrungen von dem Gefühl der Einigkeit und gegenseitiger Ergebenheit, wie sie immer zwischen uns geherrscht hat. Ein fröhliches Treiben herrschte den ganzen Abend.

Am Festtag früh um 8:00 h bereiteten mir mein Sohn, seine Braut, meine Enkel und die nächsten Freunde eine freudige Überraschun. Sie sangen im Chor einen Willkommensgruß. Der siebenjährige Enkel (als Schmied verkleidet) und die kleine Enkelin überbrach mir in Versen, von einem Freund gedichtet, herzliche Wünsche.

Auf dem Wege zur Messe baten mich meine Mitarbeiter in's Kontor, wo im Namen der gesamten Belegschaft W.K. Meier eine Adresse verlas. Diese, künstlerisch mit Aquarellen ausgestalt, zeigte wesentliche Momente aus dem Leben des Werkes in den letzten 50 Jahren. Und dann überreichte er mir im Namen der Arbeiter meine Büste in anderthalbfacher Vergrößerung - eine Arbeit des Bildhauers Ginsberg und in meinem Werk gegossen.

Um 1/2 10 h vormittags wurde ich in der mit Grünzeug geschmückten Malerwerkstätte unter Beteiligung des Archangelski-Chores die Messe gelesen. Pater Andrej wandte sich nach dem Gottesdienst an die hier versammelten mehr als 600 Arbeiter mit ergreifenden Worten.

Dann sprach auch ich ihnen ein russisches "Spasibo" aus für ihre Mitarbeit und vermittelte meine Gedanken anlässlich des gefeierten Jubiläums. Ältere Arbeiter brachten im Namen aller Brot und Salz in einer künstlerisch gestalteten silbernen Schale .und ein gemeinsames Glückwunschschreiben auf einem silbernen Buvar (franz. buvard = Löschblatt, Schreibunterlage d, Einer dieser Arbeiter arbeitet schon 46 Jahre bei mir.

Nach der Begrüßung wurde ihnen ein Brief des Finanzministers vorgelesen mit folgendem Inhalt:

DER FINANZMINISTER KONIJA

Sr.Exzellens F.K. San Galli
Sehr geehrter Herr Franz Karlowitsch

 

 Am 2. Februar sind es 50 Jahre ununterbrochenen Wirkens Eurer Exzellenz zum Wohle der russischen Industrie. Auf diesem Gebiet haben Sie sich ein halbes Jahrhundert mit unermüdlicher Energie für die Entwicklung und das Wachstum einiger Inustrieunternehmen und das Wohlergehen Ihrer Angestellten und Arbeiter eingesetzt. Außerdem haben Sie als Mitglied des.Handel- und Manufakturrates, an dessen Sitzungen Sie mehr als 30 Jahre teilnahmen, durch Erfahrung Wissen und gerechte Entscheidungen an der Ausarbeitung der verschiedensten gesetzgeberischen Maßnahmen mitgewirkt.

Ich hielt es für meine Pflicht, seiner kaiserlichen Hoheit Über Ihr langjähriges eifriges Bemühen Zeugnis abzulegen. Nach meinem Bericht hierüber hat es seiner kaiserlichen Hoheit allergnädigst gefallen, mir zu gebieten Sie seiner kaiserlichen Hoheit Wohlwollen und Gunst zu versichern , Überzeugt, daß Sie auch weiterhin mit dem bisherigen Eifer in dem von Ihnen gewählten Tätigkeitskreis tätig sein werden.

Ich gratuliere Ihnen zu diesem Gnadenbeweis unseres Monarchen und bitte Sie, meine wahre Hochachtung und Ergebenheit entgegenzunehmen.

Nr. 1275
31. Jan. 1903 (H.-P.)S. Witte


In meiner Rede vor den Arbeitern habe ich meine grenzenlose Ergebenheit gegenüber seiner kaiserlichen Hoheit zum Ausdruck gebracht, und meine feste Entschlossenheit, bis an das Ende meiner Tage für das Wohl und den Ruhm meines teuren Vaterlandes zu wirken. Meine Worte "Es lebe der Zar!" wurde von einem langanhaltenden Hurra übertönt.

Alle 800 Arbeiter waren zum Essen una anschließend zur Oper "Ein Leben für den Zaren" im "Volkshaus" eingeladen. Dieses Haus war gestiftet und hervorragend ausgestattet durch das fürsorgliche Bestreben des Oldenburgischen Prinzen Alexander Petrowitsch. Gott gebe ihm Gesundheit!

Sein verstorbener Vater, Prinz Georgewitsch kannte mich gut, und hat mir als Fabrikanten verschiedene Aufträge erteilt. So wurde mir beim Bau des Kinderkrankenhauses seines Namens im Jahre 1869 der Einbau der Warmwasserheizung übertragen, der ersten dieser Art in Russland. Auch für das "Volkshaus" habe ich verschiedene Aufträge ausgeführt.

Während des Essens brachte mein Sohn ein Hoch auf den Zaren und den Prinzen Alexander Petrowitsch von Oldenburg aus. Dem Prinzen wurde ein Telegramm übersandt, auf das er folgende liebenswürdige Antwort gab:

"Meine Frau und ich, tief gerührt von der liebenswürdigen Aufmerksamkeit, grüßen Sie und Ihre Arbeiter herzlich zum Jubiläum Ihres Werkes und wünschen ein weiteres Blühen und Gedeihen zum Wohle der vaterländischen Industrie."

Prinz Alexander von Oldenburg - - - - - - -

So, wie an diesem Tage erhielt ich auch an den folgenden Tagen eine Menge Telegramme, Briefe und Glückwünsche.

Eines der charakteristischen Telegramme erhielt ich von einem Freund meines Hauses aus Paris, von Emanuel Nobel:

Zur denkwürdigen fünfzigjährigen Feier Ihrer Fabrik und Firma, wie auch für Ihren persönlichen unermüdlichen Einsatz während dieser langen Zeit, gestatte ich mir, meine tiefempfundene Bewunderung und meinen herzlichen Gluckwunsch auszusprechen, indem ich Ihnen weiteres Gedeihen, gute Gesundheit und Erhalt Ihres frohen Gemütes wünsche. Sie sind unter uns Industriellen der Senior und haben stets für Eintracht unter uns, wie für gegenseitige Achtung für Arbeit, wie Person gesorgt und gewirkt. Für mich persönlich sind Sie seit meiner frühesten Jugend der Inbegriff eines Mannes der großen Tat und des guten Willens.

Es drängt mich. Ihnen von ganzen Herzen für all Ihr Wohlwollen, welches Sie mir oft bewiesen haben, und welches ich besonders in ernsten Augenblicken meines Lebens empfunden habe, zu danken.

Nobel - - - - - - - - -

(Das ist der Originaltext in Deutsch)


Nach Erhalt der Bekundung, daß es dem Zaren in seiner höchsten Gnade wohlwollenderweise gefallen hat, mich seiner höchsten Gunst und der Überzeugung zu versichern, daß ich weiterhin in gewohntem Eifer in meinem selbstgewählten Wirkungskreis tätig sein werde, bat ich um eine Audienz bei seiner Hoheit. Die Audienz wurde auf den 19. Februar 2 l/2h festgesetzt und ich konnte meine tiefe Dankbarkeit persönlich seiner allerhöchsten Gnaden bezeigen und seiner Hoheit meine untertänigsten Gefühle zum Ausdruck bringen.

Seiner Hoheit hat es in seinem Wohlwollen gefallen, mit mir in deutscher Sprache zu sprechen. Das ist eine große Gnade, die der Hochherzige Monarch in seiner liebenswürdigen Güte seinem treuen Untertanen zu erweisen geruhte.

In seinem historischen Roman "Mirowitsch" erwähnt Danilewski das Landgut "Karawaldei", wohin Lomonosow zur Erholung fuhr. Auch ich fahre von Zeit zu Zeit dorthin, um auszuruhen. Dieses wunderbare Forstrevier liegt zwischen dem brausenden Meer und einem gewöhnlich spiegelglatten großen See in Meeresnähe und ca. 4 Saschen (Klafter) über Meereshöhe. Ich kaufte vor 11 Jahren dieses Besitztum zusammen mit der Insel "Karawaldei", reich an jahrhundertalten Eichen, die weiß Gott wann und von wem gepflanzt würden. Ich lege Sümpfe trocken und darauf Gärten an, ich schlage Holz, ziehe Gräben, fische aus dem See die gefräßigen Hechte ab und ersetze sie durch wertvolle Fische.

Mit anderen Worten, meine Sommerferien bestehen auch jetzt aus lebhafter Tätigkeit, wenn auch in anderer Weise. Manche von diesen Arbeiten - Düngung mit vom Meer- angeschwemmtei Tang, Trockenlegung durch Drainage, Auslesen von Steinen und Rodung der Wurzelstöcke, Aussaat von neuem, besserem Saatgut könnte auch den Bauern der umliegenden Dörfer (mein Ertrag steht zehn zu drei gegenüber dem ihren) mehr oder weniger als Beispiel und Anreiz dienen. Diese Arbeiten ermöglichen ihnen (den Frauen, die Männer mögen nicht arbeiten) einen guten Ertrag. Das könnte zur Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse und ihrer Bekleidung dienen, ein erster Schritt zur Zivilisation.

Ich erbaute mir auf der Höhe einer Düne, im Wald, nicht weit von der mir gehörenden sehr malerischer, sogenannten Batteriebucht eine solide Datscha mit einem hohen Turm. Dieser Turm ist bis weit ins finnische Haff und die Kronstädter Bucht zu sehen und ist ein Seezeichen, das auf den Seekarten eingetragen ist unter dem Namen "Landhaus San Galli".

Aus tiefster Seele danke ich Gott, daß er mich ein halbes Jahrhundert nach Kräften und Möglichkeiten meinem neuen Vaterland und vieren seiner Herrscher hat dienen lassen.

Ich danke Gott auch dafür, daß er in so reichem Maße mir und meinen Mitarbeitern solch interessante Arbeit gab, die uns so gut ernährt und das Vertrauen unserer Kunden erwarb.

Und schließlich danke ich Gott dafür, daß mir im Alter Gesundheit an Körper, Geist und Herz erhalteri blieb und meine Energie, Ausdauer und Willenskraft nicht erschlafft ist, sodaß ich nach Möglichkeit weiterschaffen kann - getreu der Devise:


"OHNE HAST - OHNE RAST"
- - - - - -

A M E N - - -- - - - - -


 

Diese Übersetzung habe ich zurückhaltend redigiert, z. b. etliche Absätze weiter unterteilt, und in einigen Fällen klarere oder sprachlich bessere Formulierungen gewählt. Ich war eben mal Redakteur einer, und dann auch noch wirtschaftspolitischen Verbandszeitung.

Da ich als Vorlage nur die 48 unbebilderten Seiten der deutsche Übersetzung, und dazwischen bebilderte Seiten des russischen Originals hatte, konnte ich die Bilder nur annähernd richtig einfügen. Die Umschlagbilder fügte ich in den Mittelteil des Textes ein, wo sich mir keine Bilder als hier hin gehörend gradezu aufdrängten.

Zum besseren Verständnis können Sie meine Zusammenstellung über das
Umfeld dieser Autobiografie lesen. Hier nur: Franz San Galli starb 1908, sein Unternehmen wurde verstaatlicht, und sein Bruder Robert kam 1923 unter den Kommunisten in größtem Elend ums Leben.

Hier können Sie noch etwas zum Nachtrag der Autobiografie Franz San Gallis erfahren. Wenige Seiten, deren Übersetzung durch einen Unbekannten ich von Familie v. Boetticher erhielt. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Seiten je gedruckt worden sind. Wahrscheinlich wurden sie nur im Familienkreis überliefert. Ich möchte hier auch nur die wenigen Punkte überliefern, die mir auch für die Menschen von heute bemerkenswert erscheinen.

Der Nachtrag beginnt mit einer Schilderung der Audienz Franz San Gallis beim Zaren. Es ist der Zar, der gleich zu Beginn der Audienz ins Deutsche wechselt.

Alle möglichen Minister und hohen Würdenträger erhalten die Autobiografie oder bitten darum. Hinterher erhält Franz San Galli zahlreiche Briefe mit Lob und Dank von ihnen.

Besonders lange zieht sich ein Gespräch mit dem Finanzminister hin, und als er ins Vorzimmer hinaus tritt, schauen ihn die Generäle und anderen Würdenträger dort mit wenig freundschaflichen Blicken an. Franz San Galli beruhigt sie:

Der Minister wollte sich eine Anleihe bei mir machen...

Dem Erfinder unserer Heizkörper auf der Spur

+

 

Auf den Spuren eines technischen Revolutionärs:
Autobiografie des Erfinders unserer Heizkörper

Kaum jemand in der Welt kennt heute Franz Karlovitch San Galli, den Erfinder unser modernen Heizkörper. Die russische Oktoberrevolution ist über sein Werk hinweg gegangen, jedenfalls über sein Unternehmen in St. Petersburg, und so ist der rührige Einwanderer aus Pommern weitgehend dem Vergessen anheim gefallen.

Hier stelle ich zur Erstinformation seine Autobiographie ins Netz, die mir in Coburg schon 1990 ganz unverhofft in die Hände fiel. Eigentlich war ich dort auf den Spuren meiner Urgroßeltern. Ach ja, meine Urgroßmutter war Nichte von Franz San Galli.

Eine viel weitergehende Dokumentation hat 2008 Vitalij Smyschljajew in St. Peterburg als Buch heraus gebracht. Er würde sich sehr freuen, wenn sein Buch (auf Russisch) - " San Galli - der Mensch und das Unternehmen " auch in anderen Sprachen veröffentlicht werden könnte. Ich habe mit etlichen Informationen und Bildern zu ihm bei tragen können. Sie erreichen ihn unter: smishlyaev@mail.ru (außer Russisch kann Herr Smishlyaev etwas Deutsch).

Beginnen möchte ich mit ein paar Worten ihres Übersetzers, mit der

EINLEITUNG und ERLÄUTERUNG zur LEBENSGESCHICHTE des Franz Karlowitsch SAN GALLI
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -von Dr. Fritz PENSEL

Im Nachlass des Dr. Hans von Boetticher (1886-1958), ehemals Direktor des Naturmuseums in Coburg, weltweit anerkannter Ornithologe (in der Landesbibliothek Coburg befinden sich weit über 400 Titel), ein Enkel des Obengenannten, fand sich die Lebensgeschichte des Franz Karlowitsch San Galli.

Sein Curriculum vitae gibt uns nicht nur Einblick in das Denken, Fühlen und Wirken dieses außergewöhnlichen Mannes, sondern auch in die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Epoche, ihre sozialen und ökonomischen Spannungen im Übergang nationaler volkswirtschaftlicher Systeme in eine Weltwirtschaft mit ihren internationalen Machtansprüchen.

Innenpolitisch führen die sozialen Spannungen zu politischen Auseinandersetzungen, nicht nur in Russland, sondern in ganz Europa, zu Streiks und Aufruhr. San Galli erkennt offensichtlich die Zusammenhänge und bemüht sich, z.B. soziale Maßnahmen für die Versorgung invalidisierter Arbeiter gesäzlich zu verankern. Gerade in der Vorsorge für seine Mitarbeiter ist er vorbildlich (Wohnungsbau, hygienische Maßnahmen, Schulen u.s.w.) und so wird bei ihm auch nicht gestreikt. Er wird Gründer einer Partei und siene Lobby "beeinflusst die gesetzgebenden Volksvertreter".

Wie San Galli auf wirtschaftlichem Gebiet seine Welt zu bessern versucht, so bemüht sich sein Zeitgenosse Leo Tolstoi (1828-1910) mit seiner" Kritik der gesellschaftlichen Convention und des sozialen Unrechts" mit christlichen Maximen seine verderbte Adels- und Oberschicht zu menschlichem Umgang mit den ihnen Anvertrauten anzuhalten.

Versuche mit tauglichen Mitteln am untauglichen Objekt!

Nach der Lehre ihres Zeitgenossen Karl Marx (1818-1883) (San Galli zitiert ihn in französischer Sprache) erbaut Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, auf den Trümmern ihrer zerbrechenden Welt die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und leitet damit eine neue Epoche der Weltgeschichte ein.

Der Großvater des Franz Karlowitsch San Galli, der 1755 in Pavia geborene und 1818 in Stettin verstorbene Bildhauer Carl Balthasar Innocentius San Galli wurde als Kriegsgefangener 1778 (Bayr. Erbfolgekrieg zwischen Preussen und Österreich) nach Stettin gebracht. Er nahm Dienste bei Generalfeldmarschal von Möllendorf in Königsberg und erhielt 1785t durch Krankheit Invalide geworden, seinen Abschied. Nachdem seine erste Frau Anna Zirottin (offensichtlich slawischen Ursprungs: Slrota ist die Waise) gestorben war, heiratete er zum zweiten Male und wollte ein "Emmeublement-Magazin vor laquirten und anderen Kunstarbeiten" eröffnen, um seinem elfjährigen Sohn, den er gerne als Bildhauer ausgebildet hätte, eine sichere Zukunft zu schaffen.

Dieser Sohn Johann Carl San Galli kämpft in den Freiheitskriegen unter Schill und ihm wird vom königl. Major und Brigadier von Massenbach auf seinen Wunsch der Abschied erteilt, nachdem "... er beim 2. Brandenburgischen Husarenregiment von Schill als Volontär, zuletzt bei meinem Kommando anvertrauten Westpreussischen Ulanenregiment als Unteroffizier treu und rechtschaffen gedient."

Dieser San Galli kämpft also bereits als Deutscher in den Freiheitskriegen. Dessen Sohn, der Verfasser des Curriculum sagt von sich "mit der mir eigenen deutschen Gründlichkeit", wird Russe und dient seiner neuen Heimat und seinen Herrschern mit "allen Kräften und nach allen Möglichkeiten".

Das Curriculum ist im Russischen des vorigen Jahrhunderts geschrieben und erfordert beim Übersetzen manchmal Raten und Kombinieren: Das Wort Towarisch z.B. ist heute die gebräuchliche Anrede in der S.U., obwohl eigentlich nur für Parteigenossen geltend. Die richtige Anrede unter den Bürgern der S.U. wäre eigentlich: graschdanin = Bürger.
Im vorliegenden Text kann Towarisch Minister eigentlich nur stellvertretender Minister bedeuten.

Auch die Interpunktion, das Setzen der Kommata z.B., wird offensichtlich nicht nach den Regeln der Rechtschreibung gebraucht, was bei den über viele Zeilen gehenden Schachtelsätzen manchmal verschiedene Deutungen zulässt. Und beim französischen Text werden die Buchstaben n und u verwechselt, z.B. epauchet statt epanchet. Die deutschen Zitate habe ich in großen Buchstaben wiedergegeben, um sie als original deutsch zu kennzeichnen.

Nachdem er aus dem aktiven politischen Leben ausgeschieden ist, bringt er seine Enttäuschung über den Niedergang in der Verwaltung, vor allem auf dem finanziellen Sektor zum Ausdruck. Die Zuspitzung der innenpolitischen Lage, die Revolution 1905 und die darauffolgenden "Stolypinschen" Reformen (ein Gefangenentransport heißt heute noch "Stolypinka") müssen ihn schwer getroffen haben. Wir wissen nichts über seine letzten Lebensjahre. Er starb 1908 in Petersburg.

Eine humanistisch gebildete und humanistisch denkend und fühlende außergewöhnliche Persönlichkeit.

Diese Autobiographie Franz San Gallis kann weder nach Umfang noch Charakter die Informationen über einen technischen Pionier und sein Werk so bieten wie ein Buch, das von einem erfahrenen St. Petersburger Techniker geschrieben wurde. Ich möchte ausdrücklich auch auf seine Übersetzungen in andere Sprachen hin wirken.

 

Curriculum vitae

(Franz San Galli im Arbeitszimmer seiner Fabrik)

 

- - - - - - - - - - - - - CURRICULUM VITAE des Fabrikbesitzers und Fabrikanten

FRANZ KARLOWITSCH SAN G A L L I

Petersburg 1903


Genehmigt durch die Zensur S.-Petersburg 15. März 190 3 Leschtuschowski Dampf-Schnellpresse P.O. Jablonski,
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Leschtukow Nr. 13

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

L e b en s l a u f

des Fabrikanten und Fabrikbesitzers Franz Karlowitsch San Galli; Gedanken und Meinungen entstanden in langjähriger Tätigkeit; seine Teilnahme an Öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten; die Gründung seiner Eisengießerei und mechanischen Fabrik, und schließlich sein häusliches und familiäres Leben.

Der Lebenslauf ist aus dem Gedächtnis erstellt zur Belehrung meiner Nachkommenschaft.

BIN FABRIKANT IN RUSSLAND IM GANZEN REICH BEKANNT NENNT MAN DIF BESTEN NAMEN SO WIRD AUCH DER MEINE GENANNT
   (in deutscher Sprache!) à la Heine; - - - - - - - - - - - - - - --------------------------- - - - - - - - - - - - - der Übersetzer Dr. Fritz Pensel

Franz Friedrich Wilhelm San Galli, Sohn des Zollhauptinspektors der Zollmagazine in Stettin, Karl San Galli und seiner Frau Henriette, geb. Lübke, wurde im Jahre 1824 in Preussen, in Pommern, in dem altertümlichen Städtchen Kammin hoch über den Ufern des Boddensees geboren.
Vor Zeiten war diese Stadt Bischofsresidenz.

Mein Bildungsgang begann im Stettiner Gymnasium. Zu Hause wurde ich in Englisch, Französisch, Tanzen, Fechten, Reiten usw. unterrichtet.

Meine Sommerferien verbrachte ich gewöhnlich auf dem Gute meines Vaters, wo ich tagelang in den Feldern oder mit dem Gewehr auf den Schultern im Wald herumstreifte. Großen Einfluss auf meine Entwicklung im Allgemeinen und die Formung meines Charakters in Besonderen hatte meine Mutter. Dieses Alterchen war eine arbeitsame Frau, streng zu sich und zu anderen. Sie hatte feste, durch Lebenserfahrung gewonnene Prinzipien, an die sie sich selbst hielt und das auch von anderen verlangte. So sagte sie oft:

   "Üb´ Wahrheit, Fleiss und Schneidigkeit, - - - -- - - - - - - - - - - - - - -leb´ mit den Deinen in Einigkeit."

und dann
   "Es ist kein Meister vom Himmel gefallen, - - - - - - - - - - - - - - - - - -aber Übung macht den Meister."


Ich hatte eine Schwester, älter als ich, die ihr ganzes Leben nach Idealen strebte und auch meine Neigungen in dieser Richtung beeinflusste. Und sie lehrte mich Schiller und Goethe, Shakespeare und Poesie und die Künste lieben. Ich bin dieser Liebe mein ganzes Leben lang treu geblieben und ihr verdanke ich viele erhebende Gefühle und herrliche Eindücke: "Pflanzt Euren Kindern das Empfinden für das Schöne ein, erzieht sie zu den Idealen!"

Mein Vater, Sohn eines nach Deutschland eingewanderten Italiener war ein hochgewachsener, hagerer Mann, mit einer römischen Nase, schwarzen Augen und ebensolchen Haaren. Er diente unter Schill in den Befreiungskriegen. Er war ein schweigsamer Mann und bemühte sich, uns, seine Söhne eher sportlich zu erziehen, -so lehrte er uns Fechten, Gymnastik und flösste uns die Liebe zu den Pferden und zum Reiten ein, eine Liebe, die mich mein ganzes Leben nicht verliess. Das ist ein so gesundes und Mut und Männlichkeit weckendes charakterbildendes Vergnügen. In der Jugend wird das Fundament gelegt, auf dem schließlich das Leben aufbaut,und wichtiger im Leben als Wissen ist die Entwicklung von Kraft, Willen und Widerstandsfähigkeit.

Vater starb als ich 17 Jahre alt war, hinterließ der Mutter ein bescheidenes Erbe und eine Pension und so waren wir Kinder, wir waren 6, auf uns selbst angewiesen und mußten unseren eigenen Lebensweg finden.

So trat ich also in ein neueröffnetes Handelskontor ein, das Großhandel mit russischen Waren betrieb. Ich kann jungen Leuten, die sich in Handel und Industrie ausbilden wollen, nur empfehlen, in ein kleines junges, womöglich neueröffnetes Handels- oder Industrieunternehmen einzutreten. Hier kann er alle Arbeitsabläufe beobachten, alle Erfolge und Mißerfolge bei dem Bestreben vorwärtszukommen, den Kampf um die Existenz und dann um den Erfolg. In einem großen alteingesessenen Handelshaus erlebt er nur die alteingefahrene Routine, die auf dem Holzwege in die Irre fuhrt.

Ich war 19 Jahre alt, als ein Petersburger Handelshaus bat, einen jungen Handelsgehilfen partout fair auszuwählen und ihnen zu schicken. Gehalt 100 Papierrubel oder 50 Rubel in Gold, zuwenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Seinerzeit dachte ich oft an das amerikanische Sprichwort: "Take your aim, go ahead, never mind " (Faß Dein Ziel in's Auge und marschier' drauf los, ganz gleich was kommt). Diesen Spruch im Kopf, dachte ich darüber nach und erklärte mich mit dem Vorschlag einverstanden. Und so wurde ich in Petersburg in einem Handelshaus in der Exportabteilung angestellt. Mein neuer Chef übernahn die Reisekosten und so kaufte ich mir ein Billet für den Dampfer Adler, der zwischen Stockholm, Helsingfors und Rewel in Petersburg verkehrte (eine direkte Verbindung bestand damals noch nicht). Als ich nach Russland abreiste in ein weit entferntes, mir bis dahin unbekanntes Land, das in der Folge meine zweite Heimat wurde, verabschiedete sich meine Mutter mit Tränen in den Auren von mir, gab mir 100 deutsche Taler mit auf den Weg und ihren mütterlichen Segen.

Diese 100 Taler meiner Mutter hatte ich bald ausgegeben, aber den meinen in deutschen Landen in der Folgezeit tausendfach zurückerstattet. Der mütterliche Segen ruht noch heute auf meinem Haupt. Liebe, gute Mutter !

Das Außenhandelsbüro, in das ich in Petersburg eintrat, war unbedeutend, aber über das Schachspielen lernte ich dort einen jungen Engländer kennen und freundete mich mit ihm an. Der Vater des jungen Engländers handelte mit Dampfschiffen des damals bekannten Maschinenfabrikanten Franz Karlowitsch Berd. Da er mich öfters mit seinem Sohn sah,lernte er mich i näher kennen und besorgte mir einen Posten als Hilfsbuchhalter im Kontor der Berd-Werke mit einem Gehalt von 70 Silberrubeln im Monat. Das Gehalt wurde bald erhöht. Bei meinem früheren Chef war ich ganze 9 Monate geblieben. Die Buchhaltung und die Korrespondenz in den Berd-Werken wurde in englischer Sprache geführt; außerdem hatte ich für Herren Berd persönliche Briefe in französischer Sprache zu schreiben. Meine Arbeit war nicht schwer und so blieb mit genügend Zeit, über Wunschbilder, Lappalien und Dummheiten nachzudenken. In jener Zeit gab es außer den kaiserlichen Theatern keine anderen in Petersburg. Es traten erstklassige Künstler von Weltformat auf. Im französischen Theater Arnold Plessi, Brogan, Raschel, Bressan, Berton und in der italienischen Oper Mario Grissi, Tamberlik, Cakzollari, Patti, Nilson, Luka.

Zweimal in der Woche besuchte ich das französische Theater (man spielte fast ausschließlich ernste Stücke), man hielt es damals für die Akademie (beau langage et maniere) gepflegter Sprache und guter Manieren. Wie hat sich das alles geändert! Die Plätze auf der Empore, wo ich immer mit Studenten und Friseuren schwitzfe, kosteten 25 Kopeken. Und für das außergewöhnliche Vergnügen italienische Sänger zu hören, zahlte man 30 Kopeken. Als später das Michailowtheater um eine Etage aufgestockt wurde und das in akustischer Hinsicht herrliche Bolschoytheater, wo man die italienischen Opern gab, zerstört wurde,war mit ihnen auch die wahre Aufgabe des Theaters verschwunden :

DIE JUGEND DURCH WORT, GESANG UND DARSTELLUNG ZU DEN IDEALEN ZU FÜHREN, DAS REIFERE ALTER ZU ERHEBEN UND EDEL ZU UNTERHALTEN.

In den Berd-Werken arbeitete ich 8 Jahre. Ich schloß enge Freundschaft mit dem ältesten Sohn meines Chefs, ein thorough gentleman meines Alters. Er öffnete mir die Türen seines Elternhauses und führte mich in viele deutsche und englische Familien ein. Mit ihnen ritt ich aus und in Gesellschaft von 5 jungen Engländern, die alljährlich mit ihren rassereinen Hunden eingeladen waren gingen wir zur Jagd !

Unser ständiges Jagdrevier war das Dorf Gorilewo bei Dudegrof, wo wir jeden Sonntag Füchse und Hasen jagten. Wir fuhren in seiner Equipage oder in seinen englischen Booten, tanzten und zechten. In dieser Zeit habe ich, ein gut aussehender, feuriger junger Mann, viel geliebt und nicht nur platonisch. Ich habe mir niemals Liebe mit Geld erkauft, auf der anderen Seite war ich auch nicht kleinlich in der Wahl meiner Liebesgaben. Pater peccavi !

Noch heute kann ich nicht verstehen, wie sich junge Leute zurückhalten können, wenn das Blut zu kochen beginnt und auf Schritt und Tritt die Möglichkeit besteht, den Liebesdurst zu stillen. Deshalb mein Rat: Halte Dich rein und lebe enthaltsam soweit es möglich ist; aber der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach und wenn es Dich getroffen hat: enjoy and be thankful, aber bedenke auch: respice finem !

Zu dieser Zeit (1846) gingen die Geschäfte der Berd-Werke gut. Er wollte die Werke erweitern und ließ zu diesem Zwecke aus Schottland Meister zur Ausführung der Gießerei- und Schmiedearbeiten der im Bau befindlichen Niloajewbrücke (oder: Nikolajew-?) kommen und aus Paris Fachleute für die Bronzegußarbeiten der Isakijewskikathedrale, deren Kuppel ebenfalls in den Berd-Werken ausgeführt und vergoldet wurde, und für die Kapitele, Apostelstatuen usw. Zu meinen Pflichten gehörte die Korrespondenz mit diesen Meistern, sie, wenn sie nach Russland kamen, abzuholen und in der Stadt unterzubringen. Da diesen Leuten die Lebensart, die Lebensgewohnheiten, die soziale Lage und die Löhne der Arbeiter völlig fremd waren, hielt ich mich fast täglich bei ihnen in den Werkstätten auf, unterhielt mich mit ihnen, beobachtete die Arbeitsvorgänge und Arbeitsverfahren und interessierte mich so immer mehr für die Sache. Ich machte mich rein theoretisch mit den Eigenschaften der Metalle und des Brennmaterials bekannt und - nulla dies sine linea -studierte Statik und Mechanik, sodaß ich im Laufe der Zeit einei allgemeinen Begriff und eine Übersicht über das ganze Werk bekam.

So verlebte ich 8 glückliche Jahre bei Herrn Berd; ich lernte und genoß im Übermaß Vergnügungen in männlicher und weiblicher Gesellschaft. Weibliche Gesellschaft ist schwachen Charakteren nicht zuträglich, bei den Stärkeren aber wirkt sie bildend, mildernd und schafft Ritterlichkeit. Ich halte diese Zeit der Gärung vom 20. bis 25. Lebensjahr, erfüllt mit einem aufregenden Leben, mit süßen Gefahren und nebelhaftem Streben so gut wie entscheidend für die Zukunft eines Mannes. Es hat keinen Sinn, einem jungen Menschen in dieser Zeit vernünftige Ratschläge zu erteilen, und deshalb noch einmal respice finem ...

Als ich 28 Jahrealt war, begann mir die Herumtreiberei und das Zigeunerleben zuwider zu werden; von einem unschlüssigen Jüngling verwandelte ich mich in einen Mann, der den Wunsch hatte, sich seinen eigenen Lebensweg zu suchen und seinen eigenen Herd zu gründen. Take your aim, go ahead, never mind. Ich beschloß zu heiraten und ein eigenes Fabrik- und Handelsunternehmen zu gründen: beide Aufgaben löste ich. Meine Frau, Sofia Alexandrowna war die einzige Tochter des ehrbaren und reichen Kaufmanns Rosinski, in dessen Haus ich mehrere Jahre verkehrte.

Wenn man heiratet, bekommt man eine neue Familie - die Verwandtschaft Deiner Frau legt Dir bekannte, manchmals schwerwiegende Verpflichtungen auf. Die zu ignorieren hast Du kein Recht. Deshalb bedenke den Umstand, bevor Du die Ehe eingehst. Meine Frau war bei Gott keine Schönheit, aber mir sehr symathisch, tüchtig, mit einer guten Bildung und ergeben den schönen Künsten bemühte sie sich um die Hauswirtschaft und - last.not least - sie war gut gebaut und völlig gesund. Ich verlebte mit ihr in Harmonie 42 Jahre und teilte mit ihre Freud und Leid. Ich hatte mit ihr 4 Kinder, von denen nur ein Sohn mit mir in Russland verblieb, - alter ego in meinem Werk.

Der zweite Sohn verzog aus gesundheitlichen Gründen in's Ausland und verstarb dort; dorthin übersiedelte auch meine jüngste Tochter mit ihrem Mann und vier Kindern (eine meiner Enkelinnen heiratete kürzlich und ich wurde Urgroßrater - sie gebar einen Sohn). Und meine älteste Tochter und ihr Mann starben nach vier glücklichen Jahren. Sie hinterließ mir zwei Enkel, die bei mir aufwuchsen und da verblieben« sie nannten mich "Papa".

Da ich keine eigenen Mittel besaß zur Gründung eines Geschäftes, lieh ich mir bei einem Bekannten 5000 Rubel zu einem Jahreszins von 6 %, schrieb auf diese Summe einen Wechsel aus und eröffnete unverzüglich in der Ligowskistraße eine Werkstatt mit 12 Schlossern und Klempnern und gleichzeitig auf dem Newski-Prospekt einen Laden zum Verkauf von Kaminen, Waschschüsseln, Betten usw. aus Metall. Das war im Jahr 1653, die Werkstatt und der Laden existieren heute noch dort nach 50 Jahren am selben Platz. Aber die Werkstatt mit 12 Arbeitern verwandelte sich in eine große Fabrik mit 1000 Arbeitern, mit einer Wohnkolonie für diese Arbeiter,"mit vielen imposanten Werksgebäuden und mit Filialen in Moskau. All diese Gebäude (in Petersburg und Moskau 52 an der Zahl), ebenso die Siedlung der Petrowski sind ausschließlich von mir entworfen, und wo früher Ödland und Gemüsegärten waren, dort schuf ich die Einrichtungen, wo die Menschen zusammen mit mir ihr Brot verdienten und in schönen, bequemen und gesunden Wohnungen lebten.

Neben dem oben erwähnten Laden eröffnete ich einen zweiten ebenfalls auf dem Newski Prospekt Nr. 6 und in Moskau an der Kusnjetzkibrücke Nr. 26, beide in eigenen Häusern. Und der Verkauf meiner Waren erstreckte sich auf das ganze europaische und asiatische Russland, nach China und Turkestean, nach Wladiwostok und Port Arthur und brachte ein paar Körnchen Kultur bis in den letzten Winkel meiner neuen, teuren Heimat - Rußland. Meinen außergewöhnlichen Erfolg verdanke ich der glücklichen Auswahl meiner Produkte, meinen Hei fern und reiner treuen Kundschaft. Aber ich kann ohneweiteres sagen, daß der Löwenanteil beim Erreichen dieses außergewöhnlichen, vielseitigen Erfolges auf mein eigenes Konto geht. Und darauf bin ich stolz.

Es gibt da eine Regel, die wenige Ausnahmen hat. Der eine, der eine Sache anfängt, geht Bankrott ou à peu pres weil er einfach keine Erfahrung hat und schließlich kennt er seine Kundschaft nicht, aber sie ihn. Es dauert ein paar Jahre, bis man weiß wie der Hase läuft; der zweite, der ein Geschäft aufmacht, kann es nur mit Mühe halten und nur der Dritte wird, wenn sein Geschäft lebensfähig ist, reich, wobei die Entwicklur ähnlich den Wellen von einem in'sWasser geworfenen Stein im Allgemeinen nicht weiter als bis zur dritten Generation des Gründers reicht und dann ausläuft. Dieser Vorgang sollte nach statistischen Maßstäben untersucht werden.

Nach diesen Maßstäben hätte ich Bankrott machen müssen. Und wirklich, obwohl ich alle meine Kräfte, meine Energie und mein Wissen für die Entwicklung und den Erhalt meines neuen zweifelsohne gesunden Geschäftes anspannte, machte ich in den erste drei Jahren keine Fortschritte, ungeachtet meiner bescheidenen Lebensführung. Ich war überaus froh, daß mein guter Bekannter meinen Wechsel auf weitere drei Jahre verlängerte, aber bereits zu 10 % Jahreszins. Das war der letzte Wechsel, den ich in meinem ganzen weiteren Leben unterschrieb. Das waren schwere Jahre für mich, obwohl mein Geschäft erheblich wuchs und ich schon bedeutend mehr Aufträge bekam.

Erhebliche Unterstützung erhielt ich durch meine Brüder, vor allem dem jüngsten, den ich aus Stettin herbeigeholt hatte (meinen Vorfahren Robert San Galli). Mit ihm teilte ich immer allen Kummer und Sorgen. Damals zu Beginn unseres Wirkens wie heute 50 Jahre später, schritten wir unseren Lebensweg Seite an Seite in einer idealen Freundschaft. Wir besaßen keine Mittel und lebten sparsam. Oft waren wir genötigt, im Restorant Pelkina zu essen, wobei mein Mittagessen aus einem Teller Kraut und einem Stückchen Fleisch bestand und 20 Kopeken kostete. Meine Frau und ich lebten zusammen mit meinem Bruder im Hinterhaus in der 4. Etage; wenn wir nach Hause kamen, manchmal in Begleitung meiner schwangeren Frau, legten wir unsere Hände übereinander, bildeten so einen Sitz und trugen sie in unsere bescheidene hochgelegene Wohnung.

In dieser Lage, in der Sorge um die geliebte Frau und das Kind, spannte ich all meine Energie an, reiste nach Deutschland, England, Frankreich um Neuheiten ein zukaufen, neue Produktionsverfahren zu studieren, wurde Mitglied der Technischen Gesellschaft, las eine Unmenge Zeitschriften und Bücher und konzentrierte mich schließlich auf das Studium des klassischen Werkes "Traite de la chaleur" von Peclet. Dieses Studium hatte in der Folgezeit großen Einfluß auf den Erfolg meines Geschäftes. Gestützt auf dieses Studium baute ich die erste Warmwasserniederdruckheizung in Russland und zwar in den Orangerien des Zarenschlosses. Sie funktionierte so gut, daß das Baukontor des Zarenschlosses mir auch die Einrichtung solcher Heizungen auch an anderen Plätzen übertrug, auch die Wasserversorgung und die Kanalisati« des alten Zarenschlosses, die bis dahin im Handbetrieb funktionierte .

Bei weiterem intensiven Studium meines Peclet stellte ich Beobachtung und Untersuchungen über den Wärmeabgabekoeffizient« des Heizwassers und des Wasserdampfes an der Innenoberfläche der Gusseisenrohre, die Wärmeableitung durch deren Wände und ihre Abgabe über die Außenoberflächen durch Strahlung und Leitung an die Umgebensluft an. So erfand ich die Heizkörper, die wesentlich bequemer und praktischer für die Heizung von Räumen, Lüftungskammern, Trockenräumen usw. waren und nannte sie Batterien. Erheblich später wurden sie auch in Deutschland und Amerika verwendet, wo ich bei meinem persönlichen Besuch der Fabriken mit ihren Unternehmern bekannt wurde. Die Anerkennung meiner Arbeiten in Zarskoe Selo und der von mir er-fundenen Warmwasserheizung brachten mir einenvguten Profit ein, daß ich zu Beginn meiner zweiten Wechselfrist ohne Schwierigkeiten zahlen konnte. Nun konnte ich mit einem Lächeln auf den Lippen meinem Bekannten vorschlagen, daß ich ihm meinerseit zu 6 % leihen könnte, da ich über freies Geld verfügte.

Bei mir ging es jetzt schnell aufwärts: dem Schmiede-, Schlosserei- und Kupfergiessereibetrieb schloß ich eine Eisengiesserei an mit einem Kuppelofen für 25 Pud Gusseisen, der mit einem Holzventilator eigener Konstruktion ausgerüstet war. Vier Mann hielten den Ventilator in Gang, sie bewegten ein Schwungrad von 20 Fuss Durchmesser, das mit der 6 zölligen Antriebsscheibe des Ventilators verbunden war. Diese Vier (sie wurden durch andere abgelöst, wenn sie müde waren) betätigten mit ihren Händen die Kurbel des Schwungrades. Diese Kurbel war mit den Balanzierbrettern, auf denen sie standen, derart verbunden, daß sie im Auf und Nieder der Kurbel nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihr Gewicht einsetzten.

Während des Krimkrieges gab es keinen Koks und so kochte ich Gusseisen mit Anthrazit vom Don. Der kostete hier 1 Rubel und ich kochte damit 10 Pud Gusseisen.

Ich kaufte damals den Grund, auf dem sich die Werkstatt befand, das ganze Gelände ringsrum, ungefähr 1700 Klafter (Saschen - 2,13 m2 ) - Das waren Gärten für 4 Rubel pro Saschen und jetzt steht der Preis bei 60 Rubel pro Saschen. Während meines Aufenthaltes in Glasgow in Schottland studierte ich den vertikalen Ausstoß des Roheisens, den ich nach meiner Heimkehr in meiner neuerrichteten Giesserei anwandte. In Birmingham interessierte ich mich für das Polieren und die Endbearbeitung der Produkte. Dort hörte ich eines Sonntags die Predigt eines Methodistenpfarrers über das Thema:"without hasting, without resting" d.h. ohne Hast, ohne Rast. Der Geistliche machte großen Eindruck auf mich. Und da mein Weg schon vorgezeichnet war, entschloß ich meinen cri de guerre americain " Take your aim, go ahead, never mind" in das deutsche " Ohne Hast, ohne Rast " zu übertragen. Das ließ ich schließlich auf der Vorderfront des Archivs, das in der Mitte meines hohen komfortablen Kontors im monumentalen romanischen Stil stand, anbringen.

Nebenbei gesagt, je bequemer und angenehmer der Arbeitsplatz, desto lieber kommen und verbleiben die Angestellten und umso vorteilhafter für sie und ihren Arbeitgeber.

Nach diesem Denkspruch OHNE HAST! OHNE RAST! lebe ich nun schon 40 Jahre und ich werde mich bis zu den letzten Minuten meines Lebens daran halten.

Im Jahre 1864 geschah etwas, was die Bedeutung meines Unternehmens in den Augen meiner Kunden erheblich vergrößerte. Die Kirche des alten Schloßes in Zarskoje Selo war abgebrannt. Das Mitglied des Kaiserlichen Baukontors Hermann Jegorowitsch Pauker (später Minister des Verkehrswesens) erstellte einen neuen, originellen Entwurf für die Kirche. Nach diesem Plan sollte der Dachstuhl (die -Träger aus Eisenbeton) und die fünfköpfige Kuppel - eine sehr originelle Konstruktion - aus Eisen hergesteilt werden.

Zur Ausführung dieser interessanten und einträglichen Arbeit wurden zwei Bewerber eingeladen: mein früherer Chef Franz Karlowitsch Berd - ein Gigant in der russischen Industrie - und Franz Karlowitsch San Galli, klein und unbedeutend in diesem Bereich, aber des Vertrauens der zaristischen Verwaltung und des kaiserlichen Baubüros gewiss. Ich erkannte die Bedeutung dieses Auftrages für mein praktisches und theoretisches Wissen und für mein zukünftiges Verhältnis zum Bauwesen im Allgemeinen und zur Hofverwaltung im Besonderen. Und so entschloß ich mich, diesen Auftrag, koste es was es wolle, anzunehmen und zum Vorteil in der Zukunft einzusetzen. Infolgedessen erstellte ich eine für mich verlustreiche Rechnung; außerdem schlug ich vor, statt der kurzen einzelnen Winkeleisen zum Ganzen zusammen geschweißte einzusetzen.

Ich bekam den Auftrag, und das wiederum erhöhte meine Reputation unter den Ingenieuren und Architekten erheblich, da auch G.E. Pauker, ehemals Professor an der Ingenieurakademie und am Technologischen Institut, wo er vor den Studenten über Konstruktionstheorie las, sich einverstanden erklärte, selbstverständlich auch seine Originalkonstruktion und ihre Detailausführung im Werk San Galli in Auftrag zu geben Und schließlich wurde mir nach der Explosion und dem Brand in den Gemächern des Winterpalais seiner Majestät die Rekonstruktion der Decken mit Eisenstreben ohne Konkurenz übertragen.
Ich fertigte ein Modell der Kuppel für die Ingenieurakademie und eine weitere für Hermann Jegorowitsch persönlcih an, welche mir nach seinem Tode von seinen Erben zurückgegeben wurde und zusammen mit seinem Portrait das Kontor meiner Fabrik schmückt.

Während des obengenannten Auftrages besuchte mich Hermann Jegorowitsch sowohl in meiner Fabrik als auch zu Hause und so ganz nebenbei, als wir diskutierten und debattierten, hörte ich einen ganzen Kurs über die Baukunst. Oft genug, wenn ein schwieriger Auftrag auf mich zukam, holte ich seinen Rat ein. Wir hatten uns so aneinander gewöhnt, daß ich ihn, auch als er Minister war, fast wöchentlich besuchte und mich mit ihm unterhielt. Als er zum Minister ernannt wurde, sagte er mir: "Ich hatte gedacht, noch 10 Jahre zu leben, aber ich fühle, daß die Last der Aufgaben meine Jahre um die Hälfte verkürzt". Innerhall zweier Jahre starb er. Ganz seiner Wissenschaft ergeben, ein in höchstem Maße liebenswürdiger Gelehrter; kann denn ein solcher Mensch ein Ministeramt bekleiden? Ich bezweifle es, er ging ganz und gar in seiner wissenschaftlichen Arbeit auf.

Die zweite Begebenheit, die ebenfalls großen Einfluß auf meine Zukunft hatte, war die nähere Bekanntschaft mit dem Professor des Technologischen Institutes Iwan Alexandrowitsch Wischnegradski - ebenfalls später Minister (Finanzen). Für das Technologische Inst itut war das Finanzministerium zuständig und in meiner Eigenschaft als Mitglied des Handels- und Manufakturrates wurde ich vom Minister bei den Abschlußexamen der Studenten zum Auditor besteilt; einer der Prüfer für Mechanik war Iwan Alexandrowitsch.

1872 wurde zum Andenken an die verstorbene Zarin Nikolaja Alexa drowitscha eine Gewerbeschule gebaut. Der Rat beauftragte mich mit dem Einbau der Warmwasserheizung, ausgerüstet mit den von mir erfundenen Batterien, der Ventilation und der Klosettanlage. Iwan Alexandrowitsch nahm es auf sich, die Ausführung dieser technischen Objekte zu beaufsichtigen. Den Kessel für die Warmwasserheizung mußten wir im engen Kellerdurchgang installieren.

Da ich ich nicht genug Raum für den Rauchabzug und für das Ziegelmauerwerk des Kessels hatte, erbat ich den Rat von Iwan Alexandrowitsch. Liebenswürdig, wie er war, stand er lange in dem niedrigen Keller am Kessel: Er bedachte lange dieses und jenes und verwarf es wieder, aber es klappte nicht. Schließlich sagte der gelehrte Professor: "Wissen Sie, Franz Karlowitsch, wir grübeln umsonst und zerbrechen uns den Kopf, gehen wir doch und hängen wir die ganze Sache dem Ofenbauer auf; der kommt schon zurecht."

Der Theoretiker sollte, bevor er an die Fertigstellung seines Projektes geht, sich mit einem Praktiker beraten.

Iwan Alexandrowitsch verschaffte mir in der Folgezeit noch eine Menge Aufträge, u.a. z.B. den Bau des gewaltigen Gasometers für die kommunale hauptstädtische Beleuchtung.

Nach Beendigung der Arbeiten an der Gewerbeschule der Zarin Nikolajewa wurde ich zum ersten Male seiner Hoheit dem Thronfolger Zarewitsch Alexander Alexandrowitsch vorgestellt und später zweimal als er schon Zar war. Das dritte und letzte Mal hatte ich das Glück, als Deputat der Duma vorzusprechen zusammen mit den Abgeordneten W.I. Lichatschew und A.M. Ignatjew, als wir den Hoheiten anlässlich der Silbernen Hochzeit die untertänigsten Glückwünsche überbrachten. Und den der kaiserlichen Gnade anheimgestellten Beschluß der Duma, statt der hölzernen eine stabile Trojzkjbrücke zu bauen und sie AIexandro-Marianski zu nennen. Seine Hoheit war so gnädig, sein Einverständnis zum Bau der Brücke zu geben und befahl der Duma, seinen Wunsch kundzutun, daß die neue Brücke ihren früheren Namen beibehalten sollte, zu Ehren des Heiligen Trojzkj.

Beide Male wandt sich seine Hoheit mit Fragen an mich. Das letzte Mal im Beisein Ihrer Hoheit Maria Feodorowna sagte er: "Sie kommen aus Bayern? Darauf antwortete ich: "Nein Eure Hoheit, ich habe die Ehre vom selben Ort nach Russland zu kommen, wo Katharina II. geboren wurde - aus Stettin." Auf diese treuherzige Antwort lächelte Ihre Hoheit und Maria Feodorowna erlaubte mir gnädigst, ihre Hand zu küssen. Da hielt ich mich für den glücklichsten Menschen der Welt .

So gingen also von Jahr zu Jahr meine Geschäfte besser und, was die Haupt sache ist, es wuchs mein Ansehen als eines zuverlässigen Menschen und Fabrikanten. Ich war auf dem qui vive, wenn es um Neuentwicklungen ging und erfand selbst verschiedenes Desinfektionszubehör, Lüftungsöfen, gerippte Öfen und Geräte; meine hermetiseh schließenden Türen, automatisehen Waschanlagen und viele andere praktischen Geräte gingen über ganz Rußland bis nach Port Arthur. Jedes Jahr reiste ich in ' s Ausland für 6 Wochen (in Amerika verbrachte ich 3 Monate) immer in Begleitung meiner Frau. Und dank meiner Sprach- und Geschäftskenntniss sowie meiner Bekannt schaften, hatte ich Zutritt zu allen Werken, die ich besichtigen wollte.

Außerdem geizte ich nicht mit dem nervus rerum, d.h. mit Trinkgeld. Ich hatte häufigen Umgang mit den an Geist, Wissen und entsprechend ihrer Stellung bedeutensten Persönlichkeiten auf den Sitzungen des Ministeriums für Finanzen, Information und anderen. Ich bin der Überzeugung, daß dieser häufige Umgang großen Einfluß auf meinen Charakter und meine Lebensanschauung hatte. Bemüht Euch um den Kontakt mit bedeutenden Leuten - semper aliquid haeret! (es bleibt immer etwas hängen. Wird doch der Stahl durch Berührung mit einem Magneten selbst magnetisch!

Die Art und Weise der Arbeiten, die in der Fabrik auf mich zukamen und meine Findigkeit erwiesen sich so erfolgreich und einträglich, daß sie meine weitere Tätigkeit, den Ausbau und die Entwicklung meines Werkes bestimmte. Dabei befolgte ich den Grundsatz, der aber in kommerzieller Hinsicht nicht richtig ist, nämlich nach Möglichkeit alles zu tun, die Aufträge im eigenen Werk auszuführen, um hinsichtlich Qualität und Terminen unabhängig zu sein. Das zwang mich aber, in der Fabrik viele Abteilungen mit Spezialmaschinen zu halten und für ihren Betrieb eine große Menge an Waren zu bevorraten. Das erforderte zwar eine Menge Kapital, dafür war ich andererseits in der Lage, die Aufträge in kürzester Frist zu erfüllen. Die Vielfalt der Artikel, die ich in meinem Werk produzierte, war erstaunlich. So kam mein Werk in den Ruf, daß es alles, was man sich wünschte an Maschinen, Apparaturen und Geräten aus den unmöglichsten Metallen auch produzieren kann. Und ich förderte diesen Ruf, indem ich alle Aufträge - so schwierig sie auch waren - annahm, wenn ich nur die geringste Möglichkeit sah, sie zu erfüllen oder den oder jenen Vorteil oder Nutzen darin sah.

So baute ich z.B. das Siegesmal auf dem Trojtzki-Platz, die Dampfmaschine für die Beleuchtung des Winterpalais, Dampfpumpen für die städtische Wasserleitung, eine gewaltige Schleuse für das Kronstadter Dock, eine Vorrichtung für den Transport der Minenboote aus dem Wasser auf den Winterstellplatz. Dort befanden sich auch Hafenleuchten, Sirenen, Baderäume, Dampfküchen, Wäschereien usw. bis zu den kleinsten Geräten des häuslichen Komforts. Das alles wurde auch in meinen Läden verkauft. Die verschiedensten Artikel, ungeheuer wichtig, aber noch nicht ausgereift, bereiteten viele Schwierigkeiten bei der Planung, Berechnung und bei der Fertigung selbst, weckten aber nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Mitarbeitern lebhaftes Interesse und eine stete Anspannung geistiger und praktischer Aktivität. Diese Anspannung erzeugte in uns jene Eigenschaften, ohne die keine Sache erfolgreich zu Ende geführt werden kann: Liebö zu einer Sache, Initiative, Willenskraft und Ausdauer.

Im Jahre 1682 erhielt die Firma San Galli die Staatsmedaille für ihre Fabrikationsprodukte.

Meine Hauptkunden waren, wie schon gesagt. Seine Hoheit und alle Mitglieder des Kaiserhauses, viele staatliche Gouvernements und Öffentliche Einrichtungen, Banken (alJLen voran die Staatsbank), das Schatzamt, Kirchen, Fabriken, Krankenhäuser, Ingenieure, Architekten, Hausbesitzer, überhaupt wohlhabendes Publikum und Industrielle unseres ganzen weiten Russland.

In meinem eigenen und im Interesse der Leute, die mir Aufträge erteilten, und um sie von der Solididät meiner Betriebsanlagen zu überzeugen, wandte ich mich eines Tages bei Gelegenheit an den Hinister des kaiserlichen Palastes Graf I.I. Woronzow-Daschow mit der Bitte, mir die Ehre des Besuches meines Werkes zu erweisen, wo ja die Aufträge des allerhöchsten Hofes ausgeführt wurden, um sich persönlich davon zu überzeugen, wie gründlich man an sie herangeht und wie solide man die erteilten Aufträge aus führt, sodaß auch nicht der geringste Gedanke an eine Nachlässigkeit oder an eine Unzuverlässigkeit für die Fertigung besteht.

Der Graf erklärte sich liebenswürdigerweise bereit, zusammen mit dem Fürsten Obilenski zu kommen. Er besichtigte sehr aufmerksam das ganze Werk, die Kolonie und würdigte schließlich meine Villa aus Mauerwerk, die künstlerisch durch den Architekturprofessor G. Rachay ausgestaltet war, eines Besuches. Auch der derzeitige Minister kennt mich persönlich und die die Gediegenheit meines Werkes.

Im Jahre 1872, als ich 48 Jahre alt war, vollzog sich ein außerordentlicher Umschwung in der Zielrichtung meiner Tätigkeit. Ich blieb wie früher in der Hauptsache bei meinem Handwerk, übertrug aber einige Filialen (das Werk in Moskau, Geschäfte usw.) zuverlässigen Mitarbeitern. So wurde für mich Zeit frei, um mich gesellschaftlichen Dingen und Regierungsangelegenheiten zu widmen, die im Laufe der Zeit auf mich zugekommen waren, sodaß ich manchmal nicht wußte, wie ich mit ihnen fertigwerden sollte.

Da war ich zunächst von der russischen Kaufmannschaft in die Wahlversammlung gewählt worden Hier ginges fast nur um die Eintreibung von Schulden, Steuern und Wohltätigkeitsangelegenheiten, kaum aber um die Nöte und Erfordernisse des Handels und der Industrie. Hier wurden Fragen diskutiert, die mich kaum interessierten. Aber als ich von der Kaufmannschaft als Beisitzer in das Handelsgericht gewählt wurde, diente ich gewissenhaft und mit großem Interesse 4 Jahre und ohne Zweifel mit großem Nutzen für mich und möglicherweise auch für die Kaufmannschaft, weil ich mir die richtigte Beurteilung kommerziell? und Gerechtigkeit aneignete. Drei oder viermal wurde ich als Geschworener in das Kreisgericht gewählt. In dieser Zeit las ich mit Interesse einige Abhandlungen über Bürger- und Strafrecht, über verschiedene Prozesse und die Motive der Urteilsfindung. Mich überraschte, wie weit die Meinungen der Leute (Geschworene, Juristen) und der Rechtsprechung über Recht und Schuld auseinandergingen und wie oft das Gesetz mit dem Gerechtigkeitsgefühl und dem täglichen Leben selbst nicht übereinstimmte. Und das bestätigte meine alte Maxime: ein magerer Vergleich ist besser als ein guter Prozess.

Ich habe nicht im Sinn, an den Stand der Advokaten zu rühren: aber eine von niemand erbetene Einmischung in die Vereinbarungen zwischen Fabrikanten und seinen Arbeitern erweist sich manchmal als schädlich für deren gegenseitige Beziehungen, auch wenn die Arbeiter einen vom Advokaten angestrengten Prozess gewinnen, denn nicht sie bekommen den Löwenanteil des Erfolges, sondern das, was sie bekommen, bekommen sie erst nach Jahren. Deshalb glaube ich, daß es nötig gewesen wäre, gleichzeitig mit dem Gesetz für die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber bei Tod und Verstümmelung am Arbeitsplatz ein berufständiges Schlichtungsverfahren zu erlassen, um ohne Advokaten eine Entscheidung in Fällen dieser Art herbei zuführen wie das in anderen Ländern (Deutschland, England und auch bei uns in Finnland) praktiziert wird.

Als bei meiner Ankunft in Amerika bei der Zollkontrolle von den Zollbeamten auf der Suche nach Konterbande mein Koffer durchwühlt wurde und ich meinen Unmut zum Ausdruck brachte, sagte ein Amerikaner neben mir: Never quarel with a person that has the cold end of the poker in his hand.(Laß Dich nicht mit einem ein, der die Trümpfe in der Hand hat.) Im Jahre 1970 wurde die neue Polizei Verordnung herausgegeben, die der städt. Duma das Recht verlieh, im Rahmen des Gesetzes alle wirtschaftlichen Angelegenheiten der Hauptstadt definitiv zu entscheiden.

Die auf Grund dieser Verordnung gewählten Stadtverordneten sollten nach Klassen ernannt werden, ähnlich den Wahlen in Berlin, nämlich entsprechend dem Betrag ihrer direkten Steuern, den sie als Wahlberechtigte an die Stadt zu zahlen haben. Es gab drei Klassen, jede von diesen zahlte ein Drittel aller städt. Steuern und wählte 82 Abgeordnete.

Zur 1. Klasse gehörten 260, zur 2. Klasse 700 und zur 3. 17.000 Wahlberechtigte.

Damals interessierten mich die städt. Angelegenheiten kaum, deshalb wußte ich auch sehr wenig von ihnen, aber entsprechend meinem bürgerlichen Pflichtgefühl mußte ich mich zur Wahlklasse Nr. 2 zählen, zu der ich nach dem Zensus gehörte.

Mich freute es, daß ich zum Kreis der allseits bekannten Leute gehörte. Ich hatte nicht geahnt, daß ich einem so großen Wählerkreis der Stadt bekannt war und von ihnen gewissermaßen um die Wette gebeten wurde, ihre Kandidatur bei den Wahlen zu unterstützen.

Die städt. Verordnung gab den Wählern der ersten und zweiten Klasse das Recht, nicht nur Abgeordnete aus ihrer, sondern auch aus einer anderen Klasse zu wählen, wenn sie den Kandidate als Abgeordneten für die Duma für würdig hielten, obwohl er nicht ihrer Klasse angehörte. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich am Vorabend der Wahl, daß ich von der ersten Klasse zu Abgeordneten der Stadt St. Petersburg gewählt worden war. Meine Wahl durch die 1. Klasse einer Millionen-Hauptstadt ohne mein Betreiben, ohne meine Fürbitte, überhaupt ohne mein persönliches Bestreben, das war schon für mich eine große Ehre und ein schmeichelhaftes Vertrauen, das zu rechtfertigen ich mich verpflichtet fühlte. Und deshalb gab ich mir selbst das Wort, einmal zum Abgeordneten gewählt, nach Kraft und Vermögen der Stadt zu dienen und ihr meine freie Zeit zu widmen.

Zunächst besorgte ich mir die städt. Verordnung von 1870. Und entsprechnend der mir eigenen deutschen Gründlichkeit, begann ich, diese Verordnung zu studieren. Zur ersten Sitzung der Duma erschien ich zu früh, suchte mir einen geeigneten Platz in der zweiten Reihe aus, genau gegenüber dem Referenten, der auf gleicher Höhe mit dem Sessel des Stadtoberhauptes stand, legte meine Mappe ab und studierte die Situation.

Im Kampf, ganz gleich ob mit Waffen oder mit Worten, hängt der Erfolg von der Position ab, die man einnimmt. Genau wie beim Dinner, man sagt doch: "GUT GEMESSEN IST HALB GEGESSEN." Ich erschien zu den Sitzungen immer früh genug, um die Referate, die zum Vortrag bestimmt waren, ausführlich studieren zu können. Doch beteiligte ich mich in den ersten zig Debatten nicht an der Aussprache und begnügte mich lediglich, mich mit den geistigen und sittlichen Qualitäten der Hauptredner und Politiker vertraut zu machen.

Wenn auf der Tagesordnung wichtige Streitfragen standen, mit denen ich mehr oder weniger vertraut war, dann meldete ich mich zu Wort und hatte Erfolg. Oft genug bemühten sich Abgeordnete, die in der Sache mit mir einer Meinung waren, um meine Überzeugungskraft zu steigern, mir zu helfen, indem sie meine unvollkommene Ausdrucksweise verbesserten oder mir fehlende Worte soufflierten.

In der Folgezeit trat ich in den Debatten nur auf, wenn ich es für nötig hielt, eine mir aus Überzeugung ernste Angelegenheit zu verteidigen. Eine feste Überzeugung - das ist der Haupfverbündete im Kampf für die Wahrheit. Nach meiner Meinung ist es absolut nicht erforderlich, daß eine Rede glänzend vorgetragen wird: sie soll klar, sachkundig und möglichst kurz sein.

Nach und nach begannen sich Abgeordnete, die erkannten, daß ich ernsthaft nur das Wohlergehen und den Nutzen der Stadt im Auge hatte, sich um mich zu scharen und so wurde der Grundstein für eine Partei gelegt. Zunächst nahm ich Verbindung mit den Familien (nomina sunt odiosa) ((aus den Heroiden von Ovid? Schon der Name kann Verdacht erregen)) der im Geschäftsleben erfolgreichen Abgeordneten auf, indem ich sie zu mir nach Hause einlud. Sie genossen das volle Vertrauen und die Sympathie der Versammluntg. Unter ihnen war auch häufig der Stadthauptmann P.A. Presser. Manchmal während des Dinners oder bei einer Tasse Tee begann
ich das Gespräch auf städt. Angelegenheiten zu lenken. Um die Partei zu stärken und mehr Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten zu wecken, schlossen wir weitere 23 Abgeordnete an unseren Zirkel an, die sich unseren Zielen und deren Tendenz verbunden fühlten. Und diese 30 Mann trafen sich wöchentlich, montags, manchmal auch öfter, wenn es die Umstände erforderten, in meinem Hause, um Duma-Angelegenheiten zu besprechen.
Ich arbeitete ein Aktionsprogramm aus, dessen Zielrichtung bestimmte, unter welchen klar festgelegten Gesichtspunkten? der Besprechung der laufenden Duma-Angelegenheiten und bei der Wahl der Abgeordneten vorgegangen werden sollte.

Für die Wahl der Abgeordneten waren die bekannten Regeln aufgestellt worden. Ausgearbeitet wurde eine in Einzelheiten gehende Organisation und ein vorbestimmtes Ziel, auf das der Zirkel bei der Wahl der Abgeordneten hinarbeiten sollte. Dieses Ziel bestand in folgendem: In die Duma nur solche Personen zu wählen, die auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit nach Meinung des Zirkels des Vertrauens würdig waren und daß sie in der Lage und willens waren, der städt. Bevölkerung in materieller, moralischer und intelektueller Hinsicht zu nützen.

Für die Beratung der laufenden Geschäfte der Duma waren folgende Punkte maßgebend:

 1.

 

 Wasin unserer Sitzung ( die kleine Duma oder Partei der San Gallisten, wie man unseren Zirkel in den Zeitungen nannte) , mit 2/3 der Anwesenden beschlossen worden war, wäre wahrscheinlich von dem restlichen Drittel in der Duma nicht abgelehnt worden!

 2.

 

 Jeder von den 30 Mitgliedern des Zirkels war verpflichtet, vor der Duma-Sitzung mit mindestens fünf ihm bekannten Abgeordneten Fragen, die von Zirkel erörtert worden waren, zu besprechen und sie für eine dem Zirkel genehme Lösung zu gewinnen.

Die Sitzungen fanden abends in meiner großen Villa an der Ligowka statt und zogen sich nicht selten bis spät in die Nacht hin. Zum Schluß gab es ein bescheidenes Abendessen.

Unsere Partei oder Zirkel war fest geschlossen, arbeitete ernsthaft und brachte, wovon ich fest überzeugt bin, der Stadt unzweifelhaft Nutzen, schon allein dadurch, daß wir die Duma zwangen, nicht nur leeres Stroh zu dreschen, sondern in einer gründlich durchdachten Zielrichtung zu arbeiten.
Selbstverständlich gab es (Gottseidank) eine Opposition. Eine
Institution, die sich mit Fragen der Gesetzgebung (Parlament) oder mit kommunalen Angelegenheiten beschäftigt, wäre ohne Parteien undenkbar.

Jede dieser Institutionen bedarf ihres Programmes, einer Orientierung, eines Führers, um den sich die Mitglieder gruppieren und konzentrieren. Nur mit vereinten Kräften kann man zügig und erfolgreich arbeiten.

Die Meinung der Opposition, wie auch das Urteil der Presse, muß man untersuchen, überdenken, studieren, aber handeln muß man nach seiner eigenen Meinung.

Die Opposition halt ihren Gegner unter Beobachtung und überprüft sein Denken und Handeln, ce du choc des oppinions que jaillit la verite. (Aus dem Aufeinanderprallen der Meinungen sprudelt die Wahrheit) (Karl Marx: Nur durch den Widerspruch findet man die Wahrheit! Es scheint, daß ihm diese These von Karl Marx bekannt war!)

Man sagt, daß die herrschende Partei in schlechte Hände geraten oder von unwürdigen Leuten geführt werden kann. Nun, das kann beim Klassenwahlrecht kaum passieren: Die Wähler des 1. und 2. Standes, die jährlich große Summen in die Stadtkasse zahlen, sind einfach daran interessiert, daß die Summen zweckmäßig verwendet werden.

Wenn es das Klassenwahlsystem nicht gäbe, und die Mehrheit der Wähler zahlt ja nur eine unbedeutende Summe an Gemeindesteuern, dann wäre die Wahl eines Abgeordneten wegen seiner Parteizugehörigkeit oder wegen persönlicher Interessen eher möglich.

Die Lösung von Fragen, die das Wohlergehen der Hauptstadt betrafen oder Wirtschaftsfragen, die Wahl von Abgeordneten, der Mitglieder der Verwaltung, des Stadtoberhauptes und der Mitglieder der Kommissionen - all das wurde in umserem Zirkel vorbereitet. Die Versammlungen waren machmal stark besucht. So war z.B. zur Wahl der Kandidaten für das Stadtoberhaupt auch die Opposition eingeladen.

Die Besucherzahl überstieg 150 und auf meinen Vorschlag gaben sie einstimmig für zwei Vierjahresperioden ihre Stimme für W.I. Lichatschew. Man hielt ihn für besonders würdig für diesen schweren und manchmal undankbaren Posten als Bürgermeister der Hauptstadt Petersburg.

So war ich unermüdlich und nach Kräften entsprechend der seit 1870 gültigen Stadtverordnung im Verlauf von 20 Jahren tätig, bis die neue demokratischere Stadtverordnung herauskam, die das Klassenwahlrecht abschaffte, und die den Bürgern gleiches Recht gab in städt. Angelegenheiten mitzureden, ganz gleich, ob sie 5 oder 1000 Rubel jährlich an die Stadt zahlten. Ich gab meine frühere Rolle in Wahlangelegenheiten auf und an die Spitze der Wirtschaftsführung der Stadt trat eine neue Abgeordnetenmannschaft, der es bis heute nicht gelungen ist, ein Stadtoberhaupt zu wählen.

Zum ersten Mal wurde er von der Regierung ernannt (W.A. Ratkow-Roschnow). Bei der Wahl zur zweiten Vierjahresperiode für das Bürgermeisteramt wurde der von den Abgeorneten vorgeschlagene nicht bestätigt. In der Zeit von 1870-1890 schuf ich bei einem Budget von 12 Mill. für die Stadt Brücken (die Alexander- und Trojtzkibrücke), Wasserleitungen, die Pferdeeisenbahn, den Schlachthof, den Heumarkt, verschiedene Eisen- und Metallmärkte, die elektrische Beleuchtung, das Volksbildungswesen, das Sanitätswesen und das Krankenhaus.

Die zweite Periode von 1890-1902 - bei einem Budget von nunmehr 28 Mill. brachte der Stadt ein Pfandhaus !

Die Regierung scheint erkannt zu haben, daß die Haushaltslage der Stadt absolut nicht befriedigend ist und gedenkt, sie zu revidieren, und zwar durch Änderungen der alten Verordnungen. Das ist wie ich meine das einzig Richtige.

Während meiner Abgeordnetentätigkeit habe ich Projekte, die von der Duma angenommen waren, persönlich ausgearbeitet, z.B. die Brandschutzmaßnahmen und - Ausrüstungen für die Theater und die Öffentlichen Gebäude; die Vorsorgeeinrichtungen für Unfälle auf der Pferdeeisenbahn, das Verbot von Ausstoß schmutzigen Rauches aus den Schornsteinen der Fabriken, Bader, Dampfer usw.

Außerdem war ich Mitglied einer vielköpfigen Kommission für technische Fragen, u.a. für den Bau der Alexanderbrücke über die Newa. Zu Beginn war ich zusammen mit dem Direktor des Institutes ziviler Ingenieure Bernhard zur Beratung des Projekt von Ing. A.E. Struve eingeladen, und dann war ich Mitglied der Aufsichtskommission während der ganzen Zeit des Baues.

Persönlich ließ ich mich in einem Caisson 75 Fuss unter den Wasserspiegel hinunter, um die Stabilität der Pfeiler und andere Arbeiten zu überprüfen. Obwohl ich an der Stadtpolitik nicht mehr aktiv teilnehme, und nicht mehr teilnehmen werde, interessiere ich mich immer noch in Gedenken an die alten Zeiten und als bedeutender Hausbesitzer dafür, denn ich liebe meine Stadt.

Wenn ich zurückblicke und mir das alles in's Gedächtnis zurückrufe, was ich in den 20 Jahren in der Duma tätigen und erleben mußte, dann kann ich an all das nur mit großer Genugtuung zurückblicken. Alle Stadthauptleute, insbesondere F.F. Trepow, A.A. Koslow, P.A. Presser und W.W. von Wal brachten mir großes Wohlwollen entgegen und haben mir oft mit persönlichem Rat beigestanden. Meine Kollegen von der Duma, das Stadtoberhaupt, die Angehörigen der Verwaltungen und Abgeordnete haben mir oft ihre Anerkennung und ihre Achtung bezeugt. Ich erhielt von ihnen ein Album mit den Fotographien der gesamten Abgeordnetenbesetzung und eine silberne Schale mit den Namen derer eingraviert, die mich besucht hatten usw. Ein wertvolles Reisenecessaire schickten sie mir nach Nizza, wo ich mich zur Erholung aufhielt. Da sie meine dortige Adresse nicht kannten, sandten sie das Necessaire zusammen mit einem Telegramm an unseren Konsul, der alle Hotels abfuhr, um den bescheidenen Touristen zu suchen, dem le Maire et la Municipalite de la Capitale de l'Empire Russe ein Telegramm und ein hübsches Geschenk gesandt hatte. Eine schöne Erinnerung!

Als ich zu Hause in meiner Datscha bei dem Verfassen dieses Curriculum Vitae saß, wurde in Regierungskreisen die Frage der Revision der Stadtverordnung von 1890 ventiliert. In einem Resume betr. Stadtverwaltung während meiner Tätigkeit in der Duma erlaubte ich mir, Herrn Innenminister folgendes zur Kenntnis zu bringen:

 Euere Excellenz,
Sehr geehrter gnädiger Herr Wjatscheslaw Konstantinowirsch,

Während meines Sommeraufenthaltes in der Waldabgeschiedenheit am Meeresstrand und anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums meines Werkes und im 80. Jahre meines glücklichen Daseins habe ich für meine Familie mein Curriculum Vitae verfaßt. Ein Teil davon befaßt sich mit meiner 20-jährigen Tätigkeit (1870-1890) in der Petersburger Stadtduma. In dem Bewußtsein, daß sich Euere Excellenz um die Verbesserung des Ablaufs der hauptstädtischen Verwaltung und auch um den Ablauf der städt. Wahlen Sorgen macht, dachte ich mir, daß es vielleicht für Sie von Interesse und für den weiteren Verlauf nützlich sein würde, wenn ich Sie mit einigen Fakten hinter den Kulissen bekannt mache, die diese Angelegenheiten betreffen.

Ihnen diese Möglichkeit zu geben ist das einzige Ziel dieses Schreibens

.

 

Kurz darauf erhielt ich die Antwort, die mich sehr erfreute. Schmeichelhafte Eitelkeit brachte mich zu dem Entschluß, diesen Brief des Ministers vollständig zu bringen, obwohl ich das Gefühl habe, unbescheiden dazustehen.

 Sehr geehrter Franz Karlowitsch,

Ich erhielt Ihren interessanten Brief betr. Umgestaltung der jetzigen Stadtverordnung in Petersburg und fand darin einige belehrende Hinweise.

Herzlichen Dank für diesen wertvollen Beitrag für unser aller Sache, bitte Sie, meine aufrichtige und immer währende Hochachtung entgegenzunehmen.

W. Plewe 19. Nov. 1902


In der Folgezeit sah ich den Minister mehrmals; er erwies mir die Ehre seines Besuches und mein Eindruck auf ihn wuchs weiter:

He reads much; he is a great observer and looks quite through
the deed of men. Julius Caesar. Shakespeare.
(Er liest viel; er ist ein großer Beobachter und durchschaut die Menschen und ihr Tun.)

1872, als die Handels- und Manufakturkammer reformiert wurde, erhielt ich einen Brief vom Finanzminister, ob ich nicht Mitglied dieser Kammer werden möchte. Ich sagte gerne zu und auf den Vorschlag des Ministers wurde ich durch unseren allerhöchsten Herrn in dieser Eigenschaft bestätigt und bin daselbst seit 30 Jahren tätig. Ich bin kein Intrigant, und wenn ich in irgendeiner Verwaltung tätig bin, dann habe ich nur das eine Ziel im Auge , das dieser Einrichtung vorangestellt ist.

Wie in der Duma, so auch im Rat, mochte ich nicht Grundsatzfragen in Gang bringen, sie ausarbeiten und die Auswahl der entsprechenden Beamten übernehmen. Was die Wahlen anbelangt, so verlangte das Gesetz, daß die ersten 24 Mitglieder vom Minister ausgewählt und dem Zaren zur Bestätigung vorgestellt wurden, aber alle zwei Jahre schied die Hälfte von ihnen durch das Los aus und der Rat in seiner vollen Besetzung stellte dem Minister der Finanzen anstelle der Ausgeschiedenen 12-36 Kandidaten zur Auswahl vor, wobei jeder der 36 nicht weniger als 2/3 der Stimmen der Vorschlagenden haben mußte.

Die Erfüllung dieser Aufgabe, bei der der Rat die 12 in den Vordergrund schieben mußte, die er für die Erfüllung dieser ehrenvollen Aufgabe für würdig hielt, war nicht möglich sans un peu corriger la fortune. (Lessing: Minna von Barnhelm: das Glück verbessern, ein bißchen mogeln). Und tatsächlich, nach einigen erfolglosen Versuchen, dem Gesetz Genüge zu tun, lud ich die Ratsmitglieder zu mir nach Hause ein und hier wurde, hauptsächlich dank der Findigkeit unseres Mitgliedes Iwan Alexandrowitsch Wischnegradsk eine Formel für die Benennung der 36 Kandidaten gefunden.

24 von ihnen erhielten nämlich 2/3 Zustimmung, und die restlichen
12 alle 36 Stimmen. Nach dieser Formel habe ich im Verlauf von 30 Jahren eine Liste der Kandidaten für die Vorstellung beim Finanzminister ausgearbeitet. Selbstverständlich habe ich mich jedes mal mit meinen Kollegen beraten.

Noch mehr, als bei der Beurteilung abstrakter Fragen, sah ich mich auf den Gebiet des Staatshaushaltes praktischen Fragen gegenübergesteilt. Und bei jedem Minister (zu meiner Zeit waren es 6) traten immer neue Maßnahmen in Erscheinung, die sich oft diametral gegenüberstanden. Sie hatten alle das Ziel, den allgemeinen Wohlstand zu heben und das Staatssäckel zu füllen.

So z.B. verweise ich auf die Zollgebühren für Gusseisen, dem Basismaterial meiner Produktion (die von einem Volk benötigte Menge an Eisen ist ein Maßstab für sein Niveau), Als ich noch bei Berd arbeitete, war die Steuer auf ein Pud Eisen 1 Rubel und die Steuer auf Maschinen und Ersatzteile gleich null. Infolgedessen war der Maschinenbau, dieses wichtige formende Element in der Entwicklung volkswirtschaftlicher Kräfte in Russland de facto verboten.

So ergab sich folgende Kuriosität: um Gusseisen zum Schmelzen zu bekommen, wurden ganze Schiffsladungen Maschinenteile gröbster Provenienz zollfrei bestellt. Sie wurden im Werk zerschlagen und in die benötigten Gusseisenteile umgegossen. So waren die Wölfe satt und die Schafe wohlauf.

Dann fand ein Umdenkprozess in der Regierung betr. Gusseisen und anderer Fragen statt, wobei ich zu Besprechungen über die Änderung der Zollbestimmungen und anderer die Industrie betreffender Fragen die Ehre hatte, verschiedentlich vorgeladen zu werden, um meine Gedanken dazu zu äussern und Erläuterungen beizusteuern.

Also wurde das für die Maschinenproduktion benötigte Gusseisen vom Zoll befreit, und dafür die Maschinen besteuert. Dann -gradualiter - 1857 noch 0, dann 1866 45 Kop., 1882 - 1 Rub. 35K. 1885 - 1 Rub.80 Kop., 1887 - 2 Rub. 10 Kop., 1691 - 2 Rub.55 Kop 1894 - 2 Rub. 10 Kop. für das Pud nach konventionellem Tarif. Die Gebühr für das Roheisen stieg weiter an auf 5, 15, 25 und jetzt auf 45 Kop., d.h. um mehr als 100 %, also mehr als es an Ort seiner Förderung in Jekaterinoslaw im Ural kostet. Ich kauft meinen letzten Jahresbedarf in Lugansk für 41 1/2 Kop. In England kostet das Pud 40-45 Kop.

Und jetzt steht die Frage einer neuerlichen Steueranpassung in's Haus. Die Petersburger Gesellschaft für die Entwicklung und Förderung der Fabrikationsindustrie bat mich meine Meinung zur vorgesehenen Steuererhöhung auf Roheisen, Eisen- und Metallprodukte und Maschinen. Ich überarbeitete diese Absichten und die Gesellschaft veröffentlichte sie in der Januarnummer ihres Journales für 1892 und übersandte sie an den stellvertretenden Finanzminister für Industrieangelegenheiten und einige Fabrikanten in Moskau, Warschau, Petersburg und Riga.

Die Gundlage für meine Meinung war folgende Vorstellung: Ziel und Zweck der Volkswirtschaft und der Regierungsmaßnahmen ist Reichtum und Macht. Der wichtigste Faktor zur Erreichung dieses Zieles ist die Leistungsfähigkeit des Volkes ! Infolgedessen muß man diese entwickeln und die Mittel und Wege dieser Entwicklung verteidigen. Und eines der wichtigsten Mittel dieser Bemühungen ist die Mühe, die man in der metallurgischen Industrie für den Maschinenbau aufwendet. Deshalb muß das Ziel, der Steuerpolitik die Erhaltung des Arbeitspotentials sein. Diese Ideen entwickelte ich ausführlich in der oben genannten Denkschrift.

Einige Monate später berief der Professor des Technologischen Institutes, mein alter Freund und Kollege vom Rat für Handel und Manufaktur, dem vom Ministerium die Ausarbeitung des Entwurfes für die neue Besteuerung übertragen worden war, eine kleinere Sitzung von Fabrikanten ein. In Ablehnung meines Vorschlages, der angeblich infolge technischer Schwierigkeiten für die Finanzverwaltung nicht durchführbar war, stellte er einen von ihm ausgearbeiteten Tarif vor, der sich in keiner Weise von dem seit 10 Jahren bestehenden unterschied und der doch einen so ungünstigen Einfluß auf die metallurgische Industrie gehabt hatte.

Prof. Labsin stellte einfach für metallurgische Produkte und Maschinen zwei Rubriken und zwei Tarife auf: eine für Produkte ohne Nacharbeitung und eine für solche mit Fertigung und Nacharbeitung. Übrigens teilte ich in dem von mir ausgearbeiteten Vorschlag, der den Vorzug einer vernünftigen Besteuerung gegen ausländische Konkurrenz zum Ziele hatte und nicht die eine oder andere Bequem}ichkeit für die Beamten, die Produkte in Kategorien und Rubriken ein, entsprechend ihrer Qualität und ihrem Wert, ähnlich dem jetzt erstellten deutschen Tarif und noch feiner herausgearbeiteten beim ersten Augenschein ganz einfachen amerikanischen, wobei schließlich ein Besteuerungssat von 45 % des Produktionswertes herauskommt.

Die Amerikaner steilen in diesem Falle folgendes Prinzip in den Vordergrund: Unterstützung geniesst die körperlich schwere Arbeit der Werktätigen, was aber die Finanzbeamten anbetrifft, die ja vom Volke bezahlt werden, so sollen die sich gefälligst anstrengen.

Als die bedeutensten Maschinenbauwerke in Petersburg, Moskau, Warschau, Riga usw. von dem Projekt des Prof. Labsin erfuhren, baten sie das Ministerium, eine Versammlung unter seinem Vorsitz einzuberufen, um die für die Mechanischen und Maschinenbauwerke so wichtigen Fragen zu besprechen. Auf dieser Versammlung sprachen sich alle gegen die Beibehaltung der alten Besteuerungsform, die ja Zweck und Ziel nie erreicht hatte, aus. Ich erinnere mich, daß der gescheite und tüchtige Moskauer Fabrikant G.Krestnikow, mit dem ich mehrmals die Gelegenheit hatte, Hand in Hand gegen jene Maßnahmen, die uns unzweckmäßig und für die Industrie schädlich erschienen, zu protestieren, dieses Projekt mit einem eindeutigen Wort heruntermachte. Aber sogleich entschuldigte er sich, daß ihm das in der Hitze des Gefechts so herausgerutscht sei.

Das Resultat dieser Versammlung war, daß N.F. Labsin vorschlug, unser Gegenprojekt vorzustellen, aber bat, nach Möglichkeit eine komplizierte Einteilung nach Kategorien und Gewichtsklassen zu vermeiden, da die Vertreter der Zollverwaltung erklärten, daß schwierige Tarife einfach ihre Kräfte und ihr Wissen überstiege.

Die Fabrikanten gingen auseinander und jeder arbeitete entsprechend seinem Fachgebiet die tatsächlichen Unkosten für Maschinen und Geräte einerseits und die Produktivität andererseits aus, und man traf sich innerhalb dreier Wochen in Petersburg erneut. Da bat mich ein Freund meines Hauses, Emanuel Nobel (der Bruder des Dynamiterfinders Alfred Nobel, d. Übersetzer) (Erdölindustrieller, der auch eine Maschinenfabrik besaß), eine erste, kleinere Versammlung der Fabrikanten einzuberufen, um die Marschrichtung für die folgenden Versammlungen, die dann in der Öffentlichkeit stattfinden sollten, abzustecken. Ich tat das und wir skizzierten die Kategorien, die Taxierung nach Gewicht der Produkte und den annähernden Tarifsatz. Dieser sollt dann in der Versammlung exakt herausgearbeitet und N.F. Labsin vorgestellt werden. Auf diese Weise waren also die Meinung und Wünsche der Fabrikanten der Regierung bekannt.

Im Jahre 1903 am 16. Januar kam der von der Regierung bestätigte allgemeine europäische Zolltarif heraus. Aus seinem Inhalt ist ersichtlich, daß die Regierung zwar Rücksicht auf die Bitten der Fabrikbesitzer für Maschienbau und Metallverarbeitung nahm, aber daran festhielt, die Industrieprodukte auf Grund der von ihr aufgesteilten Tarife nach Kategorien einzuteilen, und zwar offensichtlich auf Grund der Schwierigkeiten für die Zollbeamten, die kaum dafür ausgebildet waren.

Nun, aus dem Inhalt des Gesetzes war ersichtlich, daß der Zollsatz des Eisens und Gusseisens derselbe blieb, das heißt unverhältnismäßig hoch ! Nach meiner Meinung hätte man den Zoll um die Hälfte verkürzen sollen, was die vaterländiche Industrie mehr als ausreichend geschützt hätte. Und außerdem hätte man die Obergrenze bestimmen müssen, über die hinaus dann ein internationaler Konkurrenzkampf hätte einsetzen können. Ein unverhältnismäßiges Ansteigen der Preise für Eisen und Gusseisen durch die Syndikate oder mittels anderer Möglichkeiten wäre verhindert worden. Dabei war doch die verbreitete Nutzanwendung dieser Grundstoffe für die Nation wünschenswert und für die Maschinenbauindustrie so wichtig.

Es erhebt sich die Frage, ermöglichte dieser anormal hohe Zoll auf Gusseisen, wie 45 Kop. für das Pud für die Metallindustrie noch einen Gewinn? Ja, lohnend insofern, daß Unternehmer und Spekulanten ermuntert wurden, Kohle- und Erzlager auszukundschaften und Produktionsstätten für Kohle und Eisen zu errichten.

Nun, da der Zoll viel zu hoch war, als daß er für das Kapital, das einen Einsatz suchte, einen großen Anreiz dargestellt hätte, und da die Industrie der ganzen Welt in einem Zustand höchster Anspannung war, da trieb der Impuls der Industrie durch die Tendenz, immer neue Werke zu gründen, ihre Entwicklung weit über die erlaubten Grenzen, die von ständigen Anforderungen des nationalen Marktes bestimmt waren, hinaus. Als Resultat zeigte sich, daß einige Werke nicht das nötige Kapital zur endgültigen Fertigstellung auftreiben konnten, ineffektiv und mit großen Verlusten arbeiteten, aber die, die voll ausgebaut waren, und unter in jeder Beziehung günstigen Bedingungen arbeiteten, zwar weiter existieren konnten, aber unter einer Überproduktion litten.

Die Firmen aber mit einem günstigen Standort, mit solider Basis und Verwaltung werden nicht eingehen, sondern sich weiter entwickeln zum Wohle der vaterländischen Metall-Industrie, und zwar umso sicherer und schneller, je eher die leichtfertigen Firmengründungen bankrott gehen. Da stellt sich die Frage: Wie kann man der Metall-Industrie unter diesen Umständen helfen?

"HILF DIR SELBST, SO HILFT DIR GOTT" sagt ein Sprichwort. finanzielle Hilfe ist im gegebenen Falle kaum hilfreich. Wird sie doch der Volkswirtschaft entzogen und schwächt diese anstatt sie zu stärken, anstatt sie zum Konsum und zum Kauf anzureizen. Bleiben noch die Staatsaufträge, die nach meiner Meinung in Krisenzeiten umfangreicher sein könnten. Aber nur solche, die dem Staat Nutzen und Ertrag bringen.

Ungewollt kommt es mich an, die Gründung, die Entwicklung und die augenblickliche Lage meines Werkes zu vergleichen mit den Gründungen in Großstädten in der letzten Periode, wo einer kurz fristigen Blüte ein ebenso schneller Ruin folgte.

Zur Selbsthilfe planten die Besitzer von Metall-Werken, die sich in einer windigen Lage befanden, ein Syndikat der gesamten Metall-Industrie zu gründen, um sich gegenseitig zu helfen; d.h. die Starken sollten die Schwachen stützen. So hätten die Starken die Schwachen mitschleppen sollen, die Schwachen hätte aber kaum auf den eigenen Füßen stehen können, und die Volkswirtschaft hätte mit Sicherheit die Zeche bezahlt.

Der Zusammenschluß von Fabriken und Werken, die sich mit der Herstellung von Metallprodukten oder einer anderen einheitliche Warengattung "beschäftigten, mit dem Ziel, die Qualität und die Preise zu normieren, wäre identisch mit einem Monopol, wenn er sich auch: Kartei, Syndikat, Trust, Gesellschaft für den. Verkauf von der russischen metallurgischen Werke usw. nennen würde.

Diese Monopole waren so lange absolut, wie hohe Zölle auf diese Produkte eine Einfuhr eben dieser Produkte aus dem Ausland nach Russland oder die weiten Entfernungen der Produktionsstätten oder gleichwertiger Produkte eine freie Konkurrenz unterband. Wenn es sozusagen entschieden ist, daß die staatlichen Verwaltungen kein Recht haben, Waren zu bestellen oder zu kaufen, die auch in Russland hergestellt werden, dann ist das Monopol der Syndikate unbegrenzt.

Jedes Monopol ist insofern schädlich, als es die Anreize vernichtet, die bei freier Konkurrenz zu einer Verbilligung und Verbesserung der Warenproduktion führen. Das Fehlen der Konkurrenz führt bei Angleichung der Preise zu einer Verschlechterung der Warenproduktion. Das wiederum birgt eine Gefahr in sich, z.B. bei der Herstellung von Kesseln.

Wenn das Monopol in den Händen der Regierung ist, und der Verbrauch seiner Produkte schädlich für die Volksgesundheit oder die Volkswirtschaft ist (Tabak, Wein), dann kann sie durch die Beseitigung schädlicher Elemente aus den Produkten, eine Preiserhöhung oder eine Erschwerung des Erwerbs den Verbrauch und damit den Schaden begrenzen. Bei Staatsmonopolen kommen die abgeschöpften Gewinne in jedem Fall wieder dem Volk zu Gute.

Ganz anders ist es, wenn ein solches Monopol nicht in den Händen der Regierung, sondern von Privatpersonen ist, die sich bei ihren Geschäften natürlich nicht um das Gemeinwohl kümmern, nicht um die Entwicklung der Industrie, nicht um der. Nutzen für das Land, sondern deren einziges und entscheidendes Ziel ihr persönlicher Gewinn ist, der nicht, wie bei der Regierung, dem Wohle und dem Nutzen des Volkes, sondern ihren persönlichen Interessen dient. Wenn sich dann auch noch Ausländer z. als Aktionäre einer Gesellschaft) beteiligen, dann fließt der in Russland erzielte Kapitalgewinn in's Ausland.

Entsprechend den Gesetzen des Zarenreiches (Ulosch. o rtakas . ugol.p.ispr.isd. 1885 g.st. 1180) waren derartige Vereinigungen von Fabrikanten, wie sie sich auch immer nannten, verboten, Ist z.B. der notariell beglaubigte Vertrag zwischen der Russischen Metallwaren-Gesellschaft für den Verkauf von Metallwaren-Produkten und den meisten Metallwaren-Werken gesetzwidrig.

Und dieser Vertrag war auch entsprechend den eben ausgeführten Gedanken schädlich für die Betriebe, die von solchen Produkten, die das Syndikat seiner Willkür unterwarf, abhängig waren. Abgesehen von der Gesetzwidrigkeit eines solchen Syndikats war er schädlich für die Industrie und das Imperium selbst.

Wenn man einen Zusammenschluß der Fabrikanten zur Normerung der Produktionsmenge und der Preise für ihre Produkte zuließe, dann müsste man gerechterweise auch eine Vereinigung der Arbeiter für die Regelung der Arbeitszeit und ihre Entlohnung zulassen.

Erst kommt die Zulassung der Ausbeutung von Volk und Staat, und das zieht dann Streik, Gewalt und möglicherweise Aufruhr und Rebellion nach sich.
Die Beachtung der bestehenden Gesetze durch die Fabrikanten gewährleistet eine freie Konkurrenz, d.h. Verbilligung und Qualitätsverbesserung der Waren - also Fortschritt.

Die Beachtung der Gesetze durch die Arbeiterschaft gewährleistet eine friedliche Lösung der Arbeitszeitfrage und der Entlohnung. Das entspricht der Forderung nach Umfang und Qualität der Arbeit und führt zur Verbilligung und Verbesserung der Lebensbedingungen, die Industrie entwickelt sich normal und im Reich herrscht Ruhe.

Entgegen den Gesetzen besteht jetzt eine Vereinigung der Fabrikanten, und da sie gesetzwidrig ist, kann sie nur geheim agieren und ist infolgedessen kaum effektiv, kann also auch den Wohlstand der Nation kaum fördern.

Entgegen den Gesetzen gibt es jetzt aber auch gemeinsame Aktivitäten der Arbeiter (Streiks, Arbeitsniederlegung, Versammlungen). Aber bei uns können sie nach meiner Meinung nicht länger dauern als zwei Wochen und sie brechen ohne Einwirkung der Administration von selbst zusammen. Es fehlen die persönlichen Mittel dazu (eine Unterstützung gibt es im Allgemeinen nicht) und bald geraten sie in Not und der Einfluß der vernünftigen Frauen, vor allem der verheirateten Arbeiter, die ja am meisten unter dem Streik zu leiden haben, wächst von Tag zu Tag.

Die Aufgabe der Administration muß hier der Schutz von Leben und Eigentum der Menschen und überhaupt die Unterbindung von Ausschreitungen der Streikenden sein, und dann müssen sie die Unruhen durch Feststellung der Schuldigen beenden. Also: Gewissenhafte Anwendung der Gesetze sowohl gegenüber den Fabrikanten, wie auch gegenüber den Arbeitern: Svaviter in modo, fortiter in re. (Milde in der Anwendung, schneidig in der Ausführung)

Schädlich, wenn auch nicht in dem Maß, wie die Syndikate, ist auch die Organisation einer Aufsicht über zahlungsunfähige Handels- und Industrieunternehmen. Einer solchen Aufsichtsbehörde gelingt es über viele Jahre selten, die Zahlungsfähigkeit der Verschuldeten wieder herzustellen. Alte Gläubiger halten sich über viele Jahre schadlos, wenn auch nur in kleinen Schritten, unter anderem dadurch, daß sie als Treuhänder des Verschuldeten eine Vergütung aus der Masse bekommen. Infolgedessen sind sie kaum interessiert an einer schnellen Beendigung der Treuhänderschaft und riskieren dabei nichts.

Wenn auch die Treuhänder nicht die eigentlichen Schulden bezahlen, nicht einmal einige Prozente davon, so stellt sie doch eine genügend starke, unnütze und für die Handelshäuser derselben Branche schädliche Konkurrenz dar. Es müßte ein Gesetz über die Treuhänderschaft her und strengere Regeln aufgestellt werden.

Als ich Mitglied des Handels- und Manufakturrates war, habe ich 20 Jahre dem Antragsausschuß für die Vergabe von Privilegien für Neugründungen angehört, und oft gelang es mir,entsprechend der mir zur Unterstützung vorgelegten Anträge zu entscheiden. Das ging ungefähr so vor sich, daß von den vergebenen Privilegic ungefähr 80 %'Ausländern gehörten und nur 20 % russischen Unternehmern, wobei die letzteren meist kleinere Unternehmen waren. Das war nicht besonders zweckmäßig und nach meiner Meinung nur riskant und verlustbringend für diese Unternehmen, die dann oft genug nicht in der Lage waren, ihren an und für sich ordentlichen Betrieb mit Leben zu erfüllen ohne das Know How, die Findigkeit und die erforderliche Erfahrung.

Russische im Ausland vergebene Privilegien gab es, soweit mir bekannt ist, überhaupt nicht. Dieser Fakt ist verwunderlich bei der geringen Entwicklung unserer Industrie und unserer Technik. Bei diesen Verhältnissen und bei Berücksichtigung der bekannten Regel: do, ut des (Gib, dann wird man geben) erhebt sich die Frage: wäre es nicht besser für Russland, diese Konvention über Privilegien ganz abzuschaffen (ähnlich der Literaturkonvention; und nicht unserer Industrie die Hände zu binden? Meiner Meinung nach muß diese Frage gründlich untersucht und entscheidende Maßnahmen müssen ergriffen werden. Jedenfalls ist die Frage der ausländischen Privilegien dieser Art Trumpf beim Abschluß von Handelsabkommen mit ausländisch en Mächten.

Von allen die Industrie betreffenden Ausarbeitungen, an denen ich als Mitglied der Subkommission teilnahm, möchte ich an das Gesetz über den Bau und die Instandhaltung von Dampfkesseln erinnern, und dann an das von mir allein ausgearbeitete Projekt über die Verantwortlichkeit des Fabrikbesitzers bei Tod oder Verstümmelung des Arbeiters. Dieses Projekt, das ich vorher kompetenten Personen, wie W.I. Kawalewski, W.I. Lichatschew, N.P. Longowo und einigen anderen mir bekannten Fabrikbesitzern vortrug, legte ich dem Herrn Finanzminister direkt zur Begutachtung vor. Und ungefähr ein Jahr später erschien das Gegenprojekt des Ministeriums. Dies unterschied sich von meinem dadurch, daß die Entschädigung für die verunglückten Arbeiter erhöht und der Kreis der entschädigungsberechtigten Angehörigen erweitert wurde.

Das entsprach den deutschen Gesetzen, Ja, das Ministerium ging sogar noch darüber hinaus, während meine Vorschläge eher den englischen Forderungen entsprachen und die der uns benachbarten Finnen übertraf. Deren Gesetze werden sicherlich in naher Zukunft den bald erscheinenden russischen angeglichen werden.

Man darf auch nicht aus dem Auge verlieren, daß die Entschädigung den Verletzten und ihren Angehörigen unabhängig davon ausgezahl wird, ob das Unglück durch eigene Schuld (30 %), aus Verantwortlichkeit des Unternehmers (25 %) oder durch zufällige Umstände, d.h. ohne Fremdverschulden (45 %) passierte. Deshalb hielt ich - zusammen mit den Fabrikanten, die an der Besprechnung des Regierungsprojektes teilgenommen hatten - die Festsetzung der verhältnismäßig hohen Entschädigungen für nicht gerecht.

Ungeachtet der Erschwerung eines friedlichen Ausgleichs zwischei Unternehmer und Verletztem erzeugt sie Simulanten und Selbstverstümmler ! Wenn aber das Gesetz keinen Schlichtungsausschuß ohne Mitwirkung von Advokaten (wie in allen europäischen Staater vorsieht, dann untergräbt es nach meiner Meinung nur den Arbeitsfrieden zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern und bringt dadurch viele Unternehmen in Schwierigkeiten.

Diese Arbeit des Rates der Industrie- und Handelskammern und der Bergbauindustrie besteht fast ausschließlich in der Prüfung von Anträgen für die Zulassung von Industrieunternehmen; alle Projekte zur Förderung und Verbesserung der Industrie kamen fast ausschließlich von der Industrieabteilung des Finanzministeriums und wurden dort üblicherweise unter dem Vorsitz des stellvertretenden Finanzministers W. Kowelewski? mit den obersten Vertretern der zentralen Industrie beraten.

Ich selbst hatte die Ehre, auf persönlichen Wunsch des Ministers und seiner Stellvertreter eingeladen zu werden. Wenn man die vielen Beweise der Auszeichnungen bedenkt, die ich im Laufe meiner Tätigkeit empfing, so habe ich das Recht anzunehmen, daß ich persona grata für den jetzigen Finanzminister S.J.Witte und seiner Vorgänger war, und für seinen talentierten,tüchtigen und gutmütigen früheren stellvertretenden Industrieminister W.I. Kowalewski - persona gratissima.

Ich erinnere mich, daß anlässlich der Einweihung der neuen grandiosen Abteilung der Russisch-Amerikanischen Gummimanufaktur mir die Aufgabe zufiel, einen Toast auf die Gesundheit von Wladimir Iwanowitsch auszubringen. Zum Schluß meiner Begrüßungsrede fand ich keine bessere Würdigung, als ihn einen Staatsmann mit einem warmen Herzen zu nennen.
Durch Vermittlung von W.I. Kowalewski wurde mir 1889 der Orden des Heiligen Stanislaus 1. Grades verliehen und auf Antrag seines jetzigen Nachfolgers W.I. Timiriasew der Rang eines Wirklichen Staatsrates. Und ein solcher war ich ja wohl auch wirklich.

Der Anlass für die Auszeichnung war mein Verdruß, als ich in der Zeitung las, daß ein reicher Kaufmann, den ich nicht als sehr würdig einschätzte, den Stanislaus-Orden 1.Grade bekommen hatte. Eben an diese/n Tage nahm ich an einer Sitzung des Rates unter dem Vorsitz von W.I. Timiriasew teil.

Als er aus irgendeinem Grunde während der Sitzung zum Minister gerufen
wurde, hielt ich ihn kurz an und bat ihn, dem Minister meinen Unmut nicht zu verhehlen, und daß ich alles hinwerfen und liegen und stehen lassen würde, wenn Iwan Alexandrowitsch nicht auch mir den Stern verleihen werde. W.I. Timiriasew kam nach einer halben Stunde zurück und teilte mir im Auftrag des Ministers mit, daß er mir den "Stern" nicht verleihen könne, daß er mich aber für den Rang des Staatsrates vorschlagen werde. Zum Neujahr empfing ich diesen Titel und das größte Geschenk für meine Frau war, daß ich sie mit "Eure Excellenz" ansprach.

1884 wurde unter dem Vorsitz des stellvertretenden Innenministers W.I. Klewe (jetzt selbst Innenminister) die Bereinigung der Streitfragen zwischen Fabrikanten und Arbeitern beraten. Ich nahm regen Anteil an diesen Sitzungen, und als dann das entsprechende Gesetz verabschiedet wurde, und eingangs ein vorläufiges Amt für Fabrikangelegenheiten (in der Hauptstadt
und der Provinz) geschaffen wurde, war ich dessen Mitglied und blieb es auch, als es in der Folgezeit eine ständige Einrichtung wurde. Jetzt ist diese Behörde umbenannt in Hauptstädtisches- und Provinzamt für Fabrik- und Bergwerksangelegenheiten. Und nun bin ich schon fast 20 Jahre Mitglied.

Unter anderem arbeitete ich hier "die Grundregeln für den Bau und die Erhaltung von Industrieanlagen" aus, und dann die "Vorschriften für den Bau von Gerberei- und Bleichereien" usw. Unsere Sitzungen wurden sehr geschickt vom Adjudanten des Stadthauptmannes (in der Provinz leitet sie der Gouverneur selbst) I.N. Turtschaninow geleitet; jetzt macht das Frisch.
Ich muß zugeben, daß wir mit den Anklagen gegen die Unternehmer möglichst nachsichtig umgingen, da wir das Strafrecht für zu streng hielten und unsere Strafen nicht den von Friedensrichtern und anderen Justizeinrichtungen zu verhängenden entsprachen.

So muß z.B. aus dem Lohnbuch, das jedem Arbeiter auszuhändigen ist, das Datum der Übergabe, die Lohnstufe, der Personalausweis, der Wohnort usw. ersichtlich sein, und wenn irgendeine der erforderlichen Daten fehlte, war eine Strafe von 5-25 Rub- für jedes nicht richtig geführte Lohnbuch fällig, bei hundert solcher schlampigen Lohnbüchern waren das 100 Rub. (mehr war nicht zulässig). Dabei hatte das Amt nicht das Recht, Milderungsgründe (offensichtliche Fehler, Mißverständnisse usw.) anzuerkennen. Aber - fiat justitia - es wird gestraft, weil das Gesetz es so will.

Und fast regelmäßig, wenn es uns allen (dem Adjudanten des Stadthauptmannes, dem Gendarmeriechef des Gouvernements und den Fabrikbesitzern) leid tat, dem Angeklagten wegen eines offensichtlichen Fehlers oder eines Mißverständnisses seines Verwalters eine Strafe von 200 - 300 Rub. aufzubrummen, fragte ich den Staatsanwalt, welche Strafe hätte der Angeklagte zahlen müssen, wenn wir ihm entsprechend internationaler ständiger Rechtssprechung mildernde Umstände bei der Aburteilung hätte zugestehen müssen.- "Ich schätze 15 Rubel" war die übliche Antwort.

Nach meiner Meinung war dieses strenge Gesetz die ersten 10 Jahr nötig, um Ordnung in die Beziehungen zwischen Unternehmer und Arbeiter zu bringen. Das ist aber jetzt überall erreicht! (Das strenge Gesetz sollte in gewissem Maße mildernd auf das humanitäre Verhalten der Fabrikinspektoren einwirken, Diese sollten die schuldigen Fabrikanten verwarnen, bevor sie ein Protokoll aufsetzten). Deshalb müßte man, nachdem die Beziehung zwischen Fabrikanten und Arbeitern genügend normalisiert sind, und beide Seiten ihre Rechte und Pflichten kennen und danach leben und handeln, das Gesetz überprüfen und mit den Friedens- und anderen Gerichten in Einklang bringen.

1876 erwies mir Baron Stieglitz, eine allgemein hochgeschätzte Persönlichkeit, ein Bankier, desses Vater früher praktisch der einzige Bankier in Petersburg war, die Ehre, mich in meinem Büro zu besuchen. Nachdem er sein Unternehmen genügend herausgestellt hatte, sagte er, er sei auf Anraten des Finanzminister Reiteren gekommen, um mich zu bitten, Mitglied des Verwaltungsrates der unlängst von ihm errichteten Mal- und Zeichenschule zu werden.

Für diese Schule hatte er eine Million Rubel bewilligt und sie sollte dem Finanzministerium unterstehen. Dankend für die mir erwiesene Ehre, entsprach ich der Bitte des Barons. Der Rat tagte ursprünglich unter seinem, dann unter dem Vorsitz seiner Tochter, faktisch jedoch unter der absoluten Führung seines Schwiegersohnes A.A. Polowzew.

Mitglieder des Rates waren sechs. Referent und dann Erbauer des grandiosen Museums der Mal- und Zeichenschule war der talentierte und in seinem Ruf untadelige Architekt Mesmacher. Als die Schule schon in Betrieb war und erste Früchte trug, starb der Baron Stieglitz. Entsprechend seinem großzügigen Vermächtnis hinterließ er der Schule eine bedeutende Summe. Als Mitglied des Rates verlas ich es und bestätigte es durch meine Unterschrift.

Laut Vermächtnis erhielt die Tochter des Barons, die Gattin A. Polowzews, 35 Millionen, die anderen Verwandten 7 Millionen; den verbleibeneden Rest von 7 Millionen vermachte er der Mal- und Zeichenschule. Bei solch erheblichen Mitteln beschloß man, ein grandioses Museum zu bauen, um dort die besten Erzeugnisse der Handwerkskunst auszustellen, die den Schülern, Knaben und Mädchen, seinerzeit an die 800, als Muster und Vorbild dienen sollten.

Zur Aufgabe des Architekten Mesmacher gehörte der Entwurf und die Erstellung des neuen Museums, sowie die Leitung der künstlerischen und pädagogischen Angelegenheiten der Schule. Genial und gewissenhaft entledigte er sich dieser sehr schwierigen und wichtigen Aufgabe. Als der Bau und die Einrichtung des Museums vollendet und ein gewaltiger Bestand an Kunstgegenständen erstklassiger Qualität (Möbel, Bronze, Gobelins, Zeichnungen) in den meisten Fällen von ihm selbst ausgesucht, angeschafft waren, fühlte ich mich, schon mit anderen Aufgaben reichlich ausgelastet, als fünftes Rad am Wagen. Denn A.A.Polowzew schaltete und waltete selbst und uns, den Mitgliedern des Rates, blieb nur, uns mit seinen Anordnungen und den geschaffene Tatsachen einverstanden zu erklären.

Da bat ich den Finanzminister, mich von meinen Pflichten zu entbinden. Bei der nächsten Sitzung ersuchte mich Frau Polowzew so feinfühlig und liebenswürdig, doch den Rat nicht zu verlassen, daß ich noch einige Sitzungen als Ratsmitglied verblieb. Nach kurzer Zeit jedoch hielt seine Excellenz A.A. Polowzew wegen einer Erkrankung eine Sitzung in seiner Wohnung ab. Und entgegen meiner und Mesmachers Meinung, die sich ganz an den Sinn des Vermächtnisses des Barons Stieglitz hielt, bestand er darauf, 300.000 Rubel des an und für sich unantastbaren Kapitals für eine Stiländerung eines Museumsraums zu entnehmen und holte dafür die Erlaubnis des Staatsrates ein. Darauf bat ich den Finanzminister, mich von der Ehre der Mitgliedschaft des Schulrates und der Finanzkommission zu entbinden.

Bald darauf verließ auch Architekt Mesmacher die Schule, da er ganz meiner Meinung war. Für diese Schule, in künstlerischer Hinsicht sein liebstes Kind, das er von ganzem Herzen liebte, hatte er ein Unmaß von unermüdlicher Arbeitskraft eingebracht.

Die Schule des Baron Stieglitz hieß Zentralschule, nach meiner Meinung zu Unrecht, denn in den ersten zehn Jahren gab es ja gar keine Filialen, deren Zentrum sie hätte sein können. Es bestand auch für diese Filialen kein Bedürfnis an Malerei im ganzen Zarenreich.

Übrigens hätten bei entsprechenden Einsparungen an Ausgaben für den protzigen Prunk bei der Einrichtung der Filialen das reich ausgestattete Budget durchaus gereicht. Hand auf's Herz kann ich sagen, daß ich auf Grund der persönlichen Leitung des A.A. Polowzew kaum einen Beitrag dazu geleistet habe und dieser Möglichkei t auch beraubt war. Trotzdem war ich 20 Jahre Mitglied dieses Rates.

Und genau der selben Untätigkeit muß ich mich beschuldigen, was die Gewerbeschule des Nikolai Pesarewitsch anbetrifft, dieser nützlichen Einrichtung, zu deren Beirat ich nun schon 30 Jahre gehöre. Außer einer jährlichen Zahlung von 300 Rub. und dem Ankauf von eigens für die Schule konstruierten Maschinen und der Übernahme von einigen Abschlußkursen in meiner Fabrik geschah von meiner Seite nichts. Nun, einen Dank habe ich nicht erbeten, und auch nicht bekommen.

Ich möchte noch eine Zufälligkeit erinnern. Bei einem kleinen Mitagessen bei einem meiner näheren Bekannten, befand sich unter den Gästen (ich war der einzige Zivilist) der eben aus Asien zurückgekehrte General Kuropatkin. Ich wußte, daß der Kriegsminister General Wanowski sich seines schweren Amtes entledigen wollte. Von ihm persönlich hatte ich vor 20 Jahren für den Bau des Siegesdenknals auf dem Trojtzkiplatz den Wladimirorden 4. Grades erhalten, und da ich von den hervorragenden Begabungen und Quali täten des Generals Kuropatkin gehört hatte, sagte ich in einer Rede nach dem Essen voraus, daß er Minister werden würde. Er nahm meine Worte verständlicherweise als Kompliment mit einem Schmunzeln auf. Zwei Jahre später wurde er Kriegsminister und in einem Glückwunschschreiben erinnerte ich ihn an meine Voraussage.

Neben der Mitgliedschaft in der Handels-, Manufaktur- und Bergwerkekammer, dann zunächst provisorischer, später ständiger Mitgliedschaft in der Stadtverwaltung für Industrieangelegenheiten im Verlauf von 20 Jahren und weiter zunächst provisorisch, dann ständig in der Gouvernementsverwaltung für 20 Jahre, bin ich noch Mitglied der Hauptverwaltung für Industrie und Bergbau. Weiter stellvertretendes Mitglied der Eisenbahnverwaltung und stellvertretendes Mitglied der Eisenbahntarifkommission.

Außer den Regierungsbehörden werde ich jetzt, wie in den frühere Jahren, vom Minister oder seinem Stellvertretern zu fast allen Generalversammlungen eingeladen, soweit sie die Entwicklung und Koordination der Industrie angeht.
Wenn ich von meiner Tätigkeit in den Regierungsverwaltungen spreche, muß ich auch der liebenswürdigen hochgestellten Persönlichkeiten gedenken, von denen nicht nur die Verwaltung und ihr Personal, sondern auch das Schicksal unseres geliebten Russland abhängt. Für die russischen Herrscher begann ich vor 50 Jahren zu wirken und arbeite noch rund um das Jahr ununterbrochen bis heute in den Palästen.

Mein erster Auftrag war die Installation der Niederdruckwasserheizung (der ersten in Russland) in den Treibhäusern des Schlosses von Zarskoje Selo. Das war unter der Regierung des Zaren Nikolaus I.

Unter dem Zaren Alexander II. baute ich die Kirche und erhielt für die gelungene Eisenkonstruktion der Kuppel meinen ersten Orden. Unter Zar Alexander III. baute ich das Siegesdenkmal, das als Miniaturmodell vorübergehend im Wintergarte] meiner Villa aufgestellt war. Hier wurde es von seiner Hoheit dem Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch besichtigt. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch mein Werk, die Arbeiterkolonie und meine Villa. Er bewunderte besonders die Bilder- und Marmorgalerie. Das Modell des Denkmals befindet sich jetzt in einem der Räume der Ingenieurakademie.

Weiters baute ich die Dampfmaschine für die elektrische Beleuchtung des Winterpalais. Und alle Aufzüge (jetzt baue ich in Alexandria), die künstlerische Ausgestaltung des Tores und der Geländer der Freitreppe; alle Eisenbrücken in Zarskoje Selo und Gatschinja und viele Dampfmaschinen. Unter der Regierung des Zaren Nikolaus Alexandrowitsch das Palmenhaus, die Orangerie und wie vor 50 Jahren unter der Regierung des Zaren Nikolaus I, baute ich in den Treibhäusern von Zarskojw Selo die erste Niederdruckwarmwasserheizung in Russland. Die letzte eben erst unter dem Zaren Nikolai Alexandrowitsch fertiggestellte ist ebenfalls eine Niederdruckwarmwasserheizung, aber schon verbessert durch die Ausrüstung mit meinen Batterien, wie in Zarskoje Selo, aber nicht nur in den Treibhäusern, sondern auch im Zarenschloß selbst.

Ich bin reich. Aber ich habe nie an der Börse spekuliert, und spiele auch nicht Karten. Die Spekulation an der Börse ist vielleicht einträglich für Makler und natürlich für die Bankiers, kaum einträglich für den Handel, aber auf jeden Fall verderblich für das breite Publikum. Kartenspielen ist etwas für Träge und Faulenzer, um die Zeit totzuschlagen, gefährlich bei der Erziehung von Kindern und geradezu unverzeihlich für Damen.

HOMO SUM ! HUMANI NIHIL A ME ALIENUM PUTO !

Déja à 16 ans je sentis ce sentiment mystérieux si plein de charmes et de reveries douces qu'on appelle l'amour. Ne dans l'ame, l'amour s'epauche sur les sens, et en s'enflammant de plus en plus, il devient une ivresse des sens, qui , au paroxysme se manifeste comme les tremblantes etamines et les pistils dans le calice d'une fleur. Le fond d´ un sentiment pareil ne m'a pas fait defaut mais l'amour de ma jeunesse, muri par l'age, et par l'experience, le coeur controle par la tete , s'est change en une profonde sympathie pour tout ce qui est vraiment femme.

Donc j'aime les femmes! J'aime et j'honore les femmes serieuses, les fideles compagnes de notre vie, les tendres meres de nos chers enfants, auxquels elles impriment le cachet de leur être. Ces braves femmes sont la joie de nos jours et notre consolation. J´aime et j´adore aussi les petites femmes! Si gentiles, spirituelles et rieuses, meme celles qui sont un peu legeres, bien entendu, s'il n'y a pas d'anguille cachee sous l'herbe. Apres mon serieux travail de la journee, leur aimable societe, leur rire, leur chant est pour moi, tout comme le leger et delicat dessert qui suit un solide repas succulent. Leur presence emousse et amollit les raides et seches conceptions et speculations du cerveau penseur, anime le coeur et repose l'esprit.

Aimez, honorez et adorez les femmes - librement, chaudement, mais en tout honeur!

 

Aus innerster Seele ergießt sich die Liebe über die Sinne und sich immer mehr entzündend geht von ihr ein Sinnesrausch aus, der sich auf seinem Gipfel offenbart als zitternder Schleier und wie ein Blütenstempel im Kelch einer Blume.

Die Tiefe eines ähnlichen Gefühls hat mich keinen Fehler machen lassen, aber die Liebe meiner Jugend ist im Alter gereift und mein Herz ist durch Erfahrung unter Kontrolle des Kopfes gekommen, und hat sich in eine tiefe Sympathie, für alles, was wirklich weiblich ist gewandelt. Denn ich liebe die Frauen! Ich liebe und verehre die seriösen Frauen, die treuen Begleiterinnen auf unserem Lebensweg, die liebevollen Mütter unserer teuren Kinder, in die das Siegel unseres Seins geprägt ist.

Diese braven Frauen sind die Freude unseres Tages und unser Trost. Ich liebe und bewundere auch die jungen Frauen. So nett, so geistreich und lustig, auch die, die ein wenig lustig, natürlich sich geben, wenn sie sich nicht scheuen, sich im Grünen zu verstecken. Nach meinem ernsten Arbeitstag ist ihre Gesellschaft, ihr Lachen, ihr Gesang für mich ganz wie ein leichtes und delikates Dessert nach einem soliden umfangreichen Mal. Ihre Anwesenheit lindert die Härten, Angriffslust und mildert die Vorstellungskraft und die Fantasien des denkenden Gehirns, regt das Herz an und beruhigt den Geist.

Liebe, ehre und bewundere die Frauen — ungezwungen, heißblütig -- und in allen Ehren !

Donc je suis riche. Wer 50 Jahre arbeitet und von Anfang an sich nach dem Grundsatz richtet "take your aim, go ahead, never mind" (Faß Dein Ziel ins Auge, geh darauf los, gleich was kommt) und weiter "OHNE HAST, OHNE RAST", der erreicht schließlich sein Ziel "gutta cavat lapidem non vi, sed semper cadendo" (steter Tropfen höhlt den Stein).

Vor 30 - 40 Jahren kaufte ich in Petersburg ein großes brachliegendes Gelände; das war eine sichere Kapitalanlage für jemand, der nicht unbedingt auf ein schnelles Wachstun durch Zinsertrag angewiesen war, sondern vorausschauend dachte. Auf diesem Gelände baute ich die Fabrik und vergrößerte sie von Jahr zu Jahr entsprechend den reellen Bedürfnissen. Bei der Fabrik baute ich eine Kolonie für die Arbeiter und ihre Familien. 22 Häuser, unterteilt durch Baumreihen und ein großes Gebäude für die Schule, versorgt mit einer Wasserleitung aus der Newa und mit Kerosinbeleuchtung.

Voriges Jahr lud mich der stellvertretende Innenminister zu sich nach Hause ein und fragte, warum sich die Arbeiter meines Betriebes ruhig verhielten, während andere Fabriken streikten und dort Chaos herrschte? Darauf antwortete ich ihm, daß neben anderen Gründen, wie z.B. der Abgeschiedenheit meiner Kolonie durch meinen persönlichen Kontakt zu den älteren Arbeitern und die Vorsicht bei der Auswahl neuer wie Öl auf das stürmische Meer wirkt: in der Kolonie sind die Arbeiter immer zu Hause bei ihren Familien, bei Frau und Kind, und die halten sie zurück.

Ich baute auch größere Häuser, Wohnungen für mein alter ego meinen Bruder - und für Ingenieure, Verwaltungspersonal und für Mieter. Als diese Häuser fertiggestellt waren, baute ich in der Ligowskistraße eine Villa mit einem Park.

Sie hatte ich schon früher für meine Familie und mich entworfen. Diese Villa zeichnet sich durch einen bemerkenswert zarten Stil aus und wurde von dem verstorbenen Architekten Professor Rachay geschaffen. Angefüllt mit Gemälden und Marmor- und Bronzestatuen erster russischer und ausländischer Künstler, ist sie eine der Sehenswürdigkeiten von Petersburg. Sie wurde häufig von Liebhabern der Architektur, Malerei und Bildhauerei besichtigt. Diese Villa, wie alle anderen Häuser, wurden von Architekten nach meinen Plänen entworfen und gebaut.(Du mußt selbst wissen und entscheiden, wie Du leben willst, der Architekt berät Dich und arbeitet die Details aus).

In dieser Villa lebte ich mit Frau und Familie 20 Jahre. Acht Jahre älter als meine Frau, nahm ich an, daß ich vor ihr sterben würde und sie nicht allein in dem großen Haus bleiben möchte. Deshalb baute ich für sie eine kleine Villa mitten im Park, in der Nähe des Werkes. Nun - DER MENSCH DENKT UND GOTT LENKT -meine Frau ist schon lange gestorben und ich lebe noch, ich bin gesund und lebe in dem für meine Frau gebauten Haus zusammen mit einem meiner Enkel. In der großen Villa wohnt mein Sohn mit Familie.

Mein Sohn, mein Bruder und alte erfahrene Angestellte verwalten mein Unternehmen ohne, daß ich groß Anweisungen zu geben brauche. EINE SCHWERE AUFGABE SICH ZUR RECHTEN ZEIT UND OHNE SCHOCK FÜR DIE SACHE UND DIE NACHFOLGENDEN ZUR REISE "VON DER KEIN WANDERER WIEDERKEHRT" VORZUBEREITEN, OHNE DAS ARBEITEN, DIESEN LEBENSNERV AUFZÜGEBEN!

Außer diesem wertvollen Besitz in der Ligowski habe ich noch ein Haus auf dem Newski Prospekt und große Grundstücke auf der Petersinsel am Ufer der kleinen Newa, wo ich begann, eine weitere Kolonie für Privatmieter zu bauen. Dort wurden außer den bereits von mir errichteten 6 Häusern weitere 6 im Villenstil errichtet mit allem Komfort: mit elektrischer Beleuchtung in den Aufgängen mit Licht- und Schalldämpfung, Kanalisation, Eisschränken usw. Ich nenne diese Gebäude "San Galli Städtchen" in der Absicht, dort noch weitere Häuser zu bauen, sobald die Stadt die Pferdebahn dorthin verlegt.

GUTE WEGE SIND DIE ARTERIEN, DIE DAS ERNÄHRENDE BLUT DES VERKEHRS DURCH DEN KÖRPER DER STADT UND DES LANDES LEITEN.

Außerdem besitze ich noch zwei wertvolle Häuser in Moskau. In einem (an der Kusnjetzkibrücke; befindet sich eine Handlung, in dem anderen eine Zweigstelle der Fabrik.

"Tout soldat francais port dans son gibeciere le bäton de marechal de France (Jeder französische Soldat trägt den Marschalstab in seinem Tornister) sagte der große Heerführer Napoleon, um den Ehrgeiz und die Courage seiner Soldaten anzuspornen. "Halte durch Kosack und du wirst Ataman" sagte ein russischer General und wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Haupteigenschaft des Kosacken Ausdauer und Gehorsam ist. Und ich meine: Mit gesundem Menschenverstand, Initiative, Willenskraft und Ausdauer wird jeder mit der Zeit General in seinem Bereich. Von einem einfachen Lehrling stieg ich Schritt für Schritt auf und bin jetzt Leiter einer tausendköpfigen Fabrikbelegschaft mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern, Meistern, Ingenieuren und zwei Helfern, die à la hauteur (in hohem Maße) ihrer Berufung gerecht werden, meine beiden alteri ego,, mein Bruder, der mir 50 Jahre zur Hand geht und mein Sohn, dem einzigen Nachfolger meines Industrieunternehmens.

Nun, General wurde ich nicht nur in meinen eigenen Angelegenheiten, sondern auch in direkter Bedeutung des Wortes. Für meine langjährigen Dienste in den verschiedenen Räten und als Angehöriger verschiedener staatlicher Verwaltungen und für die exzellente Ausführung bedeutender Bauten wurde mir neben den verschiedenen Orden durch seine allerhöchste Gnaden, den unvergesslichen Zar Alexander III. der Titel Wirklicher Staatsrat mit dem Prädikat "Exzellenz" verliehen.

Zu diesem Beweis seiner Gunst fügte der Zar Nikolai Alexandrowitsch neue Ehrungen hinzu, indem er mich mit dem Orden des Heiligen Stanislaus 1. Grades auszeichnete, der mit der Erhebung in den persönlichen (nicht erblicher! d.Ü.) Adel verbunden war. Der Titel "Eure Exzellenz" hat eine erhebliche Bedeutung im Verkehr mit den Verwaltungsdienstellen und meine Mitarbeiter sind stolz darauf, daß ihr Chef eine so hohe Auszeichnung von ihrem geliebten Herrscher erhielt.

Der Titel Persönlicher Adel (vorher war ich erblicher Ehrenbürger) war verbunden mit der Verpflichtung, jährlich eine nicht unerhebliche Riimme der Kasse des Erbadels zu überweisen, ohne das Recht, irgendwie mitzureden in der offensichtlich sich in nicht sehr gutem Zustand befindlichen Verwaltung. Was also tun?

Dem Zaren, zu tiefem Dank verpflichtet für die Gnade seiner vielseitigen Ehrungen und Ernennungen und glücklich bis zu meinem Lebensende, für ihn wirken zu dürfen, wie gewiss auch meine Nachkommen und Nachfolger, mochte ich doch einen Erbadel nicht annehmen, da dieser mit soviel Privilegien und Vorteilen verknüpft war, die meine Nachfolger möglicherweise von ihrer Aufgabe abgehalten hätten, nämlich in erster Linie und hauptsächlich den guten Namen und die Reputation der Firma F. San Galli zu erhalten und zu fördern.

Alles, was ich wünsche ist, daß meine Nachfolger für den Zaren und das Vaterland im selber. Sinne und mit demselben Eifer arbeiten wie ich mich bemüht habe, damit die Nachwelt sagen kann, wie ich jetzt schon mit Stolz sage:

   BIN FABRIKANT IN RUSSLAND - - - - - - - - - IM GANZEN LAND BEKANNT - - - - - - - NENNT MAN DIE BESTEN NAMEN
SO WIRD AUCH DER MEINE GENANNT

(Deutsches Zitat nach H. Heine)

 

Am 2. Februar 1903 kam dann der ruhmreiche, für mich so bedeutende Tag des 50-jährigen Jubiläums der Gründung des mir so teuren Werkes, für das ich mit so viel Liebe alle Mühen auf meine Schultern genommen habe. Ein halbes Jahrhundert !

Ich beschloß, diesen Tag im engsten Familienkreise mit Mitarbeitern und Arbeitern zu feiern.

Am Vorabend lud ich alle Angestellten zu einer gemeinsamen Tafel ein. Als der Champagner gereicht wurde, wandte sich W.K. Müller, der vor vielen Jahren als Lehrling in unser Büro eintrat, jetzt Kassierer und ein Freund des Hauses, mit Worten voller Gefühl im Namen aller Angestellten an mich, worauf ich entgegnete. Dann folgte Rede auf Rede ebenso bewegt und durchdrungen von dem Gefühl der Einigkeit und gegenseitiger Ergebenheit, wie sie immer zwischen uns geherrscht hat. Ein fröhliches Treiben herrschte den ganzen Abend.

Am Festtag früh um 8:00 h bereiteten mir mein Sohn, seine Braut, meine Enkel und die nächsten Freunde eine freudige Überraschun. Sie sangen im Chor einen Willkommensgruß. Der siebenjährige Enkel (als Schmied verkleidet) und die kleine Enkelin überbrach mir in Versen, von einem Freund gedichtet, herzliche Wünsche.

Auf dem Wege zur Messe baten mich meine Mitarbeiter in's Kontor, wo im Namen der gesamten Belegschaft W.K. Meier eine Adresse verlas. Diese, künstlerisch mit Aquarellen ausgestalt, zeigte wesentliche Momente aus dem Leben des Werkes in den letzten 50 Jahren. Und dann überreichte er mir im Namen der Arbeiter meine Büste in anderthalbfacher Vergrößerung - eine Arbeit des Bildhauers Ginsberg und in meinem Werk gegossen.

Um 1/2 10 h vormittags wurde ich in der mit Grünzeug geschmückten Malerwerkstätte unter Beteiligung des Archangelski-Chores die Messe gelesen. Pater Andrej wandte sich nach dem Gottesdienst an die hier versammelten mehr als 600 Arbeiter mit ergreifenden Worten.

Dann sprach auch ich ihnen ein russisches "Spasibo" aus für ihre Mitarbeit und vermittelte meine Gedanken anlässlich des gefeierten Jubiläums. Ältere Arbeiter brachten im Namen aller Brot und Salz in einer künstlerisch gestalteten silbernen Schale .und ein gemeinsames Glückwunschschreiben auf einem silbernen Buvar (franz. buvard = Löschblatt, Schreibunterlage d, Einer dieser Arbeiter arbeitet schon 46 Jahre bei mir.

Nach der Begrüßung wurde ihnen ein Brief des Finanzministers vorgelesen mit folgendem Inhalt:

DER FINANZMINISTER KONIJA

Sr.Exzellens F.K. San Galli
Sehr geehrter Herr Franz Karlowitsch

 

 Am 2. Februar sind es 50 Jahre ununterbrochenen Wirkens Eurer Exzellenz zum Wohle der russischen Industrie. Auf diesem Gebiet haben Sie sich ein halbes Jahrhundert mit unermüdlicher Energie für die Entwicklung und das Wachstum einiger Inustrieunternehmen und das Wohlergehen Ihrer Angestellten und Arbeiter eingesetzt. Außerdem haben Sie als Mitglied des.Handel- und Manufakturrates, an dessen Sitzungen Sie mehr als 30 Jahre teilnahmen, durch Erfahrung Wissen und gerechte Entscheidungen an der Ausarbeitung der verschiedensten gesetzgeberischen Maßnahmen mitgewirkt.

Ich hielt es für meine Pflicht, seiner kaiserlichen Hoheit Über Ihr langjähriges eifriges Bemühen Zeugnis abzulegen. Nach meinem Bericht hierüber hat es seiner kaiserlichen Hoheit allergnädigst gefallen, mir zu gebieten Sie seiner kaiserlichen Hoheit Wohlwollen und Gunst zu versichern , Überzeugt, daß Sie auch weiterhin mit dem bisherigen Eifer in dem von Ihnen gewählten Tätigkeitskreis tätig sein werden.

Ich gratuliere Ihnen zu diesem Gnadenbeweis unseres Monarchen und bitte Sie, meine wahre Hochachtung und Ergebenheit entgegenzunehmen.

Nr. 1275
31. Jan. 1903 (H.-P.)S. Witte


In meiner Rede vor den Arbeitern habe ich meine grenzenlose Ergebenheit gegenüber seiner kaiserlichen Hoheit zum Ausdruck gebracht, und meine feste Entschlossenheit, bis an das Ende meiner Tage für das Wohl und den Ruhm meines teuren Vaterlandes zu wirken. Meine Worte "Es lebe der Zar!" wurde von einem langanhaltenden Hurra übertönt.

Alle 800 Arbeiter waren zum Essen una anschließend zur Oper "Ein Leben für den Zaren" im "Volkshaus" eingeladen. Dieses Haus war gestiftet und hervorragend ausgestattet durch das fürsorgliche Bestreben des Oldenburgischen Prinzen Alexander Petrowitsch. Gott gebe ihm Gesundheit!

Sein verstorbener Vater, Prinz Georgewitsch kannte mich gut, und hat mir als Fabrikanten verschiedene Aufträge erteilt. So wurde mir beim Bau des Kinderkrankenhauses seines Namens im Jahre 1869 der Einbau der Warmwasserheizung übertragen, der ersten dieser Art in Russland. Auch für das "Volkshaus" habe ich verschiedene Aufträge ausgeführt.

Während des Essens brachte mein Sohn ein Hoch auf den Zaren und den Prinzen Alexander Petrowitsch von Oldenburg aus. Dem Prinzen wurde ein Telegramm übersandt, auf das er folgende liebenswürdige Antwort gab:

"Meine Frau und ich, tief gerührt von der liebenswürdigen Aufmerksamkeit, grüßen Sie und Ihre Arbeiter herzlich zum Jubiläum Ihres Werkes und wünschen ein weiteres Blühen und Gedeihen zum Wohle der vaterländischen Industrie."

Prinz Alexander von Oldenburg - - - - - - -

So, wie an diesem Tage erhielt ich auch an den folgenden Tagen eine Menge Telegramme, Briefe und Glückwünsche.

Eines der charakteristischen Telegramme erhielt ich von einem Freund meines Hauses aus Paris, von Emanuel Nobel:

Zur denkwürdigen fünfzigjährigen Feier Ihrer Fabrik und Firma, wie auch für Ihren persönlichen unermüdlichen Einsatz während dieser langen Zeit, gestatte ich mir, meine tiefempfundene Bewunderung und meinen herzlichen Gluckwunsch auszusprechen, indem ich Ihnen weiteres Gedeihen, gute Gesundheit und Erhalt Ihres frohen Gemütes wünsche. Sie sind unter uns Industriellen der Senior und haben stets für Eintracht unter uns, wie für gegenseitige Achtung für Arbeit, wie Person gesorgt und gewirkt. Für mich persönlich sind Sie seit meiner frühesten Jugend der Inbegriff eines Mannes der großen Tat und des guten Willens.

Es drängt mich. Ihnen von ganzen Herzen für all Ihr Wohlwollen, welches Sie mir oft bewiesen haben, und welches ich besonders in ernsten Augenblicken meines Lebens empfunden habe, zu danken.

Nobel - - - - - - - - -

(Das ist der Originaltext in Deutsch)


Nach Erhalt der Bekundung, daß es dem Zaren in seiner höchsten Gnade wohlwollenderweise gefallen hat, mich seiner höchsten Gunst und der Überzeugung zu versichern, daß ich weiterhin in gewohntem Eifer in meinem selbstgewählten Wirkungskreis tätig sein werde, bat ich um eine Audienz bei seiner Hoheit. Die Audienz wurde auf den 19. Februar 2 l/2h festgesetzt und ich konnte meine tiefe Dankbarkeit persönlich seiner allerhöchsten Gnaden bezeigen und seiner Hoheit meine untertänigsten Gefühle zum Ausdruck bringen.

Seiner Hoheit hat es in seinem Wohlwollen gefallen, mit mir in deutscher Sprache zu sprechen. Das ist eine große Gnade, die der Hochherzige Monarch in seiner liebenswürdigen Güte seinem treuen Untertanen zu erweisen geruhte.

In seinem historischen Roman "Mirowitsch" erwähnt Danilewski das Landgut "Karawaldei", wohin Lomonosow zur Erholung fuhr. Auch ich fahre von Zeit zu Zeit dorthin, um auszuruhen. Dieses wunderbare Forstrevier liegt zwischen dem brausenden Meer und einem gewöhnlich spiegelglatten großen See in Meeresnähe und ca. 4 Saschen (Klafter) über Meereshöhe. Ich kaufte vor 11 Jahren dieses Besitztum zusammen mit der Insel "Karawaldei", reich an jahrhundertalten Eichen, die weiß Gott wann und von wem gepflanzt würden. Ich lege Sümpfe trocken und darauf Gärten an, ich schlage Holz, ziehe Gräben, fische aus dem See die gefräßigen Hechte ab und ersetze sie durch wertvolle Fische.

Mit anderen Worten, meine Sommerferien bestehen auch jetzt aus lebhafter Tätigkeit, wenn auch in anderer Weise. Manche von diesen Arbeiten - Düngung mit vom Meer- angeschwemmtei Tang, Trockenlegung durch Drainage, Auslesen von Steinen und Rodung der Wurzelstöcke, Aussaat von neuem, besserem Saatgut könnte auch den Bauern der umliegenden Dörfer (mein Ertrag steht zehn zu drei gegenüber dem ihren) mehr oder weniger als Beispiel und Anreiz dienen. Diese Arbeiten ermöglichen ihnen (den Frauen, die Männer mögen nicht arbeiten) einen guten Ertrag. Das könnte zur Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse und ihrer Bekleidung dienen, ein erster Schritt zur Zivilisation.

Ich erbaute mir auf der Höhe einer Düne, im Wald, nicht weit von der mir gehörenden sehr malerischer, sogenannten Batteriebucht eine solide Datscha mit einem hohen Turm. Dieser Turm ist bis weit ins finnische Haff und die Kronstädter Bucht zu sehen und ist ein Seezeichen, das auf den Seekarten eingetragen ist unter dem Namen "Landhaus San Galli".

Aus tiefster Seele danke ich Gott, daß er mich ein halbes Jahrhundert nach Kräften und Möglichkeiten meinem neuen Vaterland und vieren seiner Herrscher hat dienen lassen.

Ich danke Gott auch dafür, daß er in so reichem Maße mir und meinen Mitarbeitern solch interessante Arbeit gab, die uns so gut ernährt und das Vertrauen unserer Kunden erwarb.

Und schließlich danke ich Gott dafür, daß mir im Alter Gesundheit an Körper, Geist und Herz erhalteri blieb und meine Energie, Ausdauer und Willenskraft nicht erschlafft ist, sodaß ich nach Möglichkeit weiterschaffen kann - getreu der Devise:


"OHNE HAST - OHNE RAST"
- - - - - -

A M E N - - -- - - - - -


 

Diese Übersetzung habe ich zurückhaltend redigiert, z. b. etliche Absätze weiter unterteilt, und in einigen Fällen klarere oder sprachlich bessere Formulierungen gewählt. Ich war eben mal Redakteur einer, und dann auch noch wirtschaftspolitischen Verbandszeitung.

Da ich als Vorlage nur die 48 unbebilderten Seiten der deutsche Übersetzung, und dazwischen bebilderte Seiten des russischen Originals hatte, konnte ich die Bilder nur annähernd richtig einfügen. Die Umschlagbilder fügte ich in den Mittelteil des Textes ein, wo sich mir keine Bilder als hier hin gehörend gradezu aufdrängten.

Zum besseren Verständnis können Sie meine Zusammenstellung über das
Umfeld dieser Autobiografie lesen. Hier nur: Franz San Galli starb 1908, sein Unternehmen wurde verstaatlicht, und sein Bruder Robert kam 1923 unter den Kommunisten in größtem Elend ums Leben.

Hier können Sie noch etwas zum Nachtrag der Autobiografie Franz San Gallis erfahren. Wenige Seiten, deren Übersetzung durch einen Unbekannten ich von Familie v. Boetticher erhielt. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Seiten je gedruckt worden sind. Wahrscheinlich wurden sie nur im Familienkreis überliefert. Ich möchte hier auch nur die wenigen Punkte überliefern, die mir auch für die Menschen von heute bemerkenswert erscheinen.

Der Nachtrag beginnt mit einer Schilderung der Audienz Franz San Gallis beim Zaren. Es ist der Zar, der gleich zu Beginn der Audienz ins Deutsche wechselt.

Alle möglichen Minister und hohen Würdenträger erhalten die Autobiografie oder bitten darum. Hinterher erhält Franz San Galli zahlreiche Briefe mit Lob und Dank von ihnen.

Besonders lange zieht sich ein Gespräch mit dem Finanzminister hin, und als er ins Vorzimmer hinaus tritt, schauen ihn die Generäle und anderen Würdenträger dort mit wenig freundschaflichen Blicken an. Franz San Galli beruhigt sie:

Der Minister wollte sich eine Anleihe bei mir machen...